3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 329
3. Die Bildung der Klageformeln für den Prozeß, der sog. legis actiones.
Die Formstrenge herrschte im Prozeß gewiß schon vor den XII Tafeln; aber nach deren In-
krafttreten suchte man sehr natürlich die auf Grund des Gesetzes gebildeten neuen Klagformeln
dessen Worten, soweit irgend möglich, anzupassen. Nur das Wort des Gesetzes und seine
weitere Interpretation konnte und sollte ein Recht geben, somit mußte auch jeder Klageanspruch
sich direkt auf einen bestimmten Ausspruch des Gesetzes gründen und daher auch den Worten
des Gesetzes entsprechend formuliert werden. Die XII Tafeln setzen z. B. eine Strafe auf
arbores succisae. Waren nun Weinreben heimlich abgeschnitten, so durfte man die Klage nicht
auf vites succisae formulieren, da davon nichts im Gesetze stand, sondern auf arbores succisae,
und man mußte dann dartun, daß vites zu den arbores gehören. Eine solche peinliche Formu-
lierung ist natürlich schwierig und für den Laien gefährlich; auch hätte die Zulassung der be-
liebigen freien Formulierung kaptiös und für die Richter verwirrend werden können; deshalb
wurden die Formeln allgemein und abstrakt für alle möglichen nach den Gesetzen zustehenden
Rechte aufgestellt und so, daß man dann im einzelnen notwendig eine von ihnen nehmen mußte,
nichtapprobierte Formeln gar nicht zugelassen wurden.
Die Gesamtheit der so gewonnenen neuen Rechtssätze bezeichnet die Folgezeit als ius
eivile 1 oder nach der Methode, durch die man dazu gelangte, als interpretatio.
#*17. Die Pontifices und Cn. Flavius. Die Rechtskunde ist in dieser Zeit
keine eigene Wissenschaft. Während der ganzen republikanischen Periode ist sie immer als not-
wendiger Bestandteil der allgemein staatsmännischen Bildung angesehen worden. Aber die
Uberlieferung schreibt für die ältere Zeit (4. u. 5. Jahrh. d. St.) dem Pontifikalkollegium den
weitestgehenden, ja ausschließlichen Einfluß auf die Rechtsentwicklung zu (et interpretandi
scienta et actiones apud collegium pontificum erant: D. 1, 2, 2, 6). Die pontifices
haben an sich mit dem weltlichen Rechte nichts zu schaffen. Indes, in der Urzeit war alles
Recht von religiösen Elementen durchtränkt, waren daher die Wächter der Religion zugleich
auch die natürlichen Wächter des Rechts, und es begreift sich, daß die Pontifices, auch nachdem
das weltliche Recht sich verselbständigt hatte, diese Funktion in bezug auf es noch geraume Zeit
behielten, um so mehr, als ihr eigentlicher Berufs-kreis, das jus sacrum, mannigfache Berührungs-
punkte mit dem Prozesse und dem Privatrechte bot; man denke an den Kalender mit seinen
dies fasti, Arrogation und Testament, Vererbung der sacra privata, loca sacra und religiosa.
So kommt es, daß auch Kenntnis des weltlichen Rechtes hier gefordert und ausgebildet wurde,
und daß noch lange nach der Veröffentlichung der XII Tafeln die Pontifices als die alleinigen
Träger der Rechtskunde galten: noch unter den bedeutenderen Rechtsgelehrten der späteren
Zeit haben viele (Cicero, de or. III 134), vor allem die Mucier, dem Kollegium angehört. Daraus,
daß in alter Zeit ein solcher ständiger Mittelpunkt bestand, erklärt sich auch die Art der Rechts-
sortbildung. Sie ging nicht langsam, gewohnheitsmäßig vor sich, sondern sie trägt durchaus
den Charakter zielbewußter Einwirkung. Ein solches Vorgehen entspricht gerade dem Wesen
eines stetigen aristokratischen Kollegiums mit uralter Tradition (commentarü pontificum).
Die pontikices sind eine gutachtende Behörde: nach einer dunklen Außerung des Pomponius
scheinen sie in älterer Zeit auch auf Privatanfragen amtliche Antwort erteilt zu haben (ex quibus
constituebatur quis qduoque anno praeesset privatis: D 1,2,2, 6). Damit stimmt die Art ihrer Tätig-
keit zur Fortbildung des Rechtes zusammen: sie äußerte sich nicht in literarischer Form, sondern
rein praktisch im Leben, bei den einzelnen Rechtsverhältnissen selber. Ihr Einfluß war ohne
Zweifel sehr bedeutend. Und da Bücher nicht geschrieben und Edikte nicht aufgestellt wurden,
so erschien die Kenntnis der Formeln für Rechtsgeschäfte und Prozesse als Geheimwissenschaft
der pontifices; auch der für den Prozeß so wichtige Kalender war nur ihnen genau bekannt
(ius civile repositum in penetralibus pontificum: Liv. IX 46, 5). Dies pontifizische Monopol
dauerte bis ungefähr 300 v. Chr. Die römische Legende führt seine Beseitigung auf einen ge-
wissen Cn. Flavius zurück, den Sohn eines Freigelassenen und Sekretär des Ap. Claudius Caecus
(Zensor 312). Nach Pomponius (§ 7) soll Claudius eine Sammlung von „Aktionen“, d. h.
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1 ⅜Über den Begriff des ius civile und seinen Gegensatz zum gigentlich gesetlichen Recht val.
besonders Ehrlich, Beiträge zur Theorie der Rechtsquellen I (1902) S. 1—64.