3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 341
Rechte entlehnt. Gegen Willkür und Mißbrauch hatte man in dem ganzen öffentlichen Leben,
den Geschworenen, der Interzession, der kurzen Amtsdauer und der Anklage nach dem Amts-
jahre ausreichenden Schutz.
Die formale Rechtsgrundlage für diese ganze Tätigkeit der Prätoren bildet, wie gesagt,
ihr Imperium. Zugleich ist ihr aber dadurch die Schranke gezogen. Die Prätoren hatten keine
Gesetzgebungs-, sondern nur Amtsgewalt. Sie konnten daher keinen Satz der Gesetze und
darum auch kein einzelnes gesetzliches Recht eigentlich und direkt aufheben und ebensowenig
eine neue Bestimmung mit formell gesetzlicher Kraft einführen; beides konnte nur das Volk.
Wohl aber konnten sie gesetzlichen Rechten, wenn sie unbillig erschienen, indirekt durch denegatio
actionis, Gewährung von Exzeptionen, Restitutionen u. dergl. den rechtlichen Schutz entziehen
und umgekehrt gesetzlich nicht berechtigte Verhältnisse faktisch so behandeln und schützen, wie
wenn sie gesetzlich wären. So z. B. konnten sie niemanden zum heres oder dominus machen,
der es dem Gesetze nach nicht war, wohl aber konnten sie einem solchen den Besitz der Erbschaft
oder Sache zusprechen und ihn wie einen heres oder dominus darin schützen, und ebenso um-
gekehrt. Erscheint uns dieser Unterschied auch rein formal, so knüpften sich daran doch auch
materielle praktische Verschiedenheiten, z. B. im Erwerbe, in den Wirkungen, der Verjährung u. a.
So entstand ein höchst eigenartiger Gegensatz von zivilem und prätorischem Rechte, der sich durch
das ganze Rechtssystem hindurchzog und eine Menge von eigentümlichen Verwicklungen und
Schwierigkeiten mit sich führte. Man unterschied ziviles und prätorisches Eigentum, Obligation,
actio, Erbrecht usw. Im allgemeinen vertritt dabei das Zivilrecht das Prinzip des formellen
und strengen Rechts (ius strictum), das prätorische das der Billigkeit (ius aeqguum) und steht
darin dem ius gentium näher. Die Träger der Weiterbildung sind auch hier am letzten Ende
die Juristen. Abgesehen davon, daß namhafte Juristen selbst Prätoren waren, hat der Prätor
immer ein consilium, das ihn bei der Abfassung seiner Edikte (§ 27) berät. So ist auch dafür
gesorgt, daß die Gegensätze zwischen den beiden Rechtssystemen praktisch ausgeglichen werden.
Die Prätoren mildern den formellen Rigorismus des Zivilrechts, indem sie Exzeptionen gegen
unbillige Klagen, Restitutionen gegen unbillige Verluste einführen, durch Fiktion der zivilen
Erfordernisse die zivilen Aktionen in angemessener Weise ausdehnen und auf verwandte Ver-
hältnisse übertragen usw. Indessen stehen ihre Bestimmungen keineswegs immer in einem
eigentlichen Gegensatze zu den zivilen, sondern dienen vielfach nur dazu, sie zu sichern und zu
fördern, oder zu ergänzen und weiterzuführen. Die Römer sagen daher, das prätorische Recht
sei iuris civilis adiuvandi vel supplendi vel corrigendi gratia eingeführt, es sei aber selber eine
viva vox iuris civilis (D. 1, 1, 7, 1; 8). Vielfach hat der Unterschied der zivilen und prätorischen
Form in den Verhältnissen selbst keinen inneren materiellen Grund, sondern beruht eben nur
auf der Zufälligkeit der prätorischen Entstehung. Daher sind auch eine ganze Anzahl zunächst
vom Prätor ausgesprochener Rechtsgedanken später von der Gesetzgebung ausgenommen und
weitergeführt und dadurch völlig in das Zivilrecht übergegangen, so namentlich im Erbrechte
und Freigelassenenrechte. Dem Rechtsbewußtsein des Deutschen erscheint die ganze Duplizität
des Rechtes sehr natürlich fremdartig; nicht so dem des Engländers, da sich in England aus der
Machtvollkommenheit des Lordkanzlers ein ganz ähnlicher Gegensatz (zwischen common lawm
und equity) entwickelt hat, wie in Rom aus der des Prätors.
§ 27. Die Edikte. Ein Edikt ist, wie der Name sagt, eine mündliche Mitteilung in
der contio. Später wurden sie schriftlich verkündigt; aber die Form blieb immer, daß am An-
fange der Name des Edizenten mit dicit steht (C. 3, 3, 2; 7, 62, 6). Die Edikte umfassen alle
öffentlichen Bekanntmachungen zur Nachachtung, ohne Unterschied, ob sie befehlend oder emp-
fehlend oder als Verheißung gefaßt sind, ob sie sich auf Verwaltung oder Rechtsprechung be-
ziehen, ob sie allgemeine Verordnungen enthalten oder Verfügungen für den einzelnen Fall.
Wie andere Beamte erließen auch die Prätoren solche Edikte. Ursprünglich wohl nur Be-
fehle oder Bekanntmachungen für den einzelnen Fall (prout res incidit, sog. edicta repentina)
späterhin aber, unbekannt seit wann (Gai. IV 11), auch allgemeine Anordnungen, die sofor,
beim Amtsantritte des Prätors als Amtsprogramm veröffentlicht werden; es sind die Normen,
1 Beispiele von nichtprätorischen Edikten s. Bruns, Fontes I p. 239’'sq.