3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 345
kein systematisches Werk geschrieben, aber in mehrfachem Gegensatze zu Scaevola (reprehensa
Q. Mucü capita) durch eine Menge von Einzelschriften und Gutachten die volle griechisch-
römische Bildung für die Rechtswissenschaft verwertet; er zuerst hat das Edikt selbständig be-
handelt (duo libri perquam brevissimi). Zahlreiche Schüler verbinden ihn unmittelbar mit
den Juristen der kaiserlichen Zeit. Sie haben zum Teil nur die Responsen des Servius zusammen-
gestellt und bearbeitet. So vor allem P. Alfenus Varus (cos. 39) in seinen Digesten, die in
den Pandekten benutzt sind. Weniger abhängig ist A. Ofilius, der Cäsar bei seinen gesetzgeberischen
Plänen unterstützte. Die Arbeiten der Schüler des Servius (auditores Servüg) sammelte Aufi-
dius Namusa. Nicht zu den Schülern des Sewius gehören A. Cascellius 1 (vielleicht Prätor
zur Zeit des Triumvirats: Val. Max. 6, 2, 12), ein Mann der republikanischen Opposition;
C. Trebatius Testa, der liebenswürdige, viel jüngere Freund Ciceros, Lehrer Labeos, von großer
Bedeutung als juristischer Beirat des Augustus; Q. Aelius Tubero, der Ankläger des Ligarius,
halb Jurist, halb Geschichtschreiber, von altertümelnder Schreibweise.
*30. Regulae iuris:. Die meisten von diesen älteren Schriftstellern 3 sind der
klassischen Zeit (unter den Antoninen) nur aus zweiter Hand bekannt ". Sie werden daher
vielfach unter der Gesamtbezeichnung veteres zusammengefaßt. Die sich bildende Wissenschaft
hat eine erklärliche Neigung, allgemeine Sätze aufzustellen, deren Anwendung auf den Einzel-
fall die praktische Tätigkeit erleichtert. In diesem Sinne schrieb Scaevola ein Buch 5#
(regulae, definitiones). Einzelne von diesen Regeln sind an bestimmte alte Juristen angeknüpft:
regula Catoniana (M. Porcius Cato d. J.#7 152), constitutio Rutiliana (doch wohl P. Rutilius
Rufus cos. 105), die sog. praesumptio Muciana (D. 24, 1, 51). Den späteren sind diese Sätze
vielfach zu Dogmen geworden; man verwendete sie als Begründung, fragte aber ihrer eigenen
Begründung nicht mehr nach. Das geschah, weil man ihren Ursprung und ihre Motive nicht
mehr feststellen konnte. Zum Teile sind sie den Juristen der Kaiserzeit für ihre freiere und
feinere Rechtsgestaltung geradezu unbequem geworden; man umging sie dann wohl, aber man
leugnete ihren Rechtsbestand nicht. Dahin gehören solche Sätze wie nemo pro parte testatus,
pro parte intestatus decedere potest; nemo sibi causam possessionis mutare potest; servitus
Servitutis esse non potest (D. 33, 2, 1), und selbst bis de eadem re ne sit actio könnte man hierher
rechnen.
Dritte Heriode. Das republikanische Kaisertum.
I. Entwicklung und Ausdehnung des Rechts.
§ 31. Die Rechtsbildung der Kaiserzeit hat einen wesentlich anderen Charakter
als die der Republik. Der Grund dazu liegt nicht nur in der umgestalteten Verfassung und
Einrichtung des ganzen Staates, sondern hauptsächlich in der einschneidenden Veränderung
der Aufgabe, die der weiteren Rechtsentwicklung jetzt durch die Verhältnisse selber gestellt wurde.
Bis zum Ende der Republik waren die Hauptgrundlagen des gesamten Rechts, namentlich des
Privatrechts, im ius civile, gentium und praetorium ziemlich vollständig gelegt. Es handelte
sich jetzt weniger mehr darum, neue Rechtsbegriffe und verhältnisse und eigentlich neue Prin-
zipien aufzustellen, als die vorhandenen in der entsprechenden Weise auszubilden und weiter-
zugestalten, und zwar in zwei Hauptrichtungen:
1. Zunächst mußten die allgemeinen Prinzipien, die in den Gesetzen, Edikten und Ge-
wohnheiten meistens nur kurz, abstrakt und allgemein enthalten waren, für ihre Anwendung
1 Üüber ihn Ferrini, Rendic. Ist. Lomb. S. 2 vol. 18.
*„ Jörs, Röm. Rechtswiss. 1 S. 283 ff.
* Eine Zusammenstellung f. bei: Huschke-Seckel- Kübler, lurisprudentiase
anteiustinianse reliquiae p. 1—55.
* Sanio, Zur Geschichte der römischen Rechtswissenschaft. 1858.