Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

3. Bruns--Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 351 
der Vermehrung des schwer zu bändigenden freien Proletariats in Rom entgegengetreten 
werden); und namentlich das Eherecht, bei dem Augustus in den beiden leges lulia und Papia 
Poppaea der eingerissenen Sitten-, Ehe= und Kinderlosigkeit einen Damm entgegenzusetzen 
versuchte. Außerdem sind über Intestaterbrecht und Vermächtnisse mehrere wichtige Senats- 
konsulte gegeben: Sc. Tertullianum (unter Hadrian) und Orkitianum (178), die ein Erbrecht 
zwischen Mutter und Kindern einführen; Sc. Trebellianum und Pegasianum über Universal- 
fideikommisse. Sonst aber finden sich nur mehr vereinzelte Bestimmungen, wie z. B. das Sc. 
Vellaeanum über die Bürgschaften der Weiber, das Macedonianum über die Darlehen der Haus- 
söhne, die oratio Severi über die Veräußerung der Mündelgüter u. a. 
Auf uns gekommen sind alle diese Gesetze fast nur durch Zitate und Relationen in den 
Pandekten und anderen Schriften, nur weniges auf den alten Erztafeln 1. Dahin gehört nament- 
lich ein Stück eines Sc. de imperio für den Kaiser Vespasian (gewöhnlich als lex de imperio 
Vespasiani bezeichnet), das schon im 14. Jahrhundert gefunden wurde 2. 
§ 38. Das Edikt. Die Gerichtsbarkeit der Prätoren in Zivilsachen bestand in der 
alten Weise fort und im Zusammenhange damit auch das Recht, zu edizieren. Die Annahme, 
es hätte der Prätor seit dem Beginne der Kaiserzeit sich begnügt, das alte Edikt beim Amts- 
antritte zu veröffentlichen, ohne neue Zusätze zu machen oder Anderungen vorzunehmen, ist 
nicht haltbar. Sicher ist ihm die Befugnis dazu nicht durch einen Rechtssatz entzogen. Aber 
in der Hauptsache stand „das Edikt“ allerdings bereits am Ende der Republik als etwas inhaltlich 
Abgeschlossenes neben dem Zivilrechte; das beweisen die Kommentare des Serwius und Labeo. 
Dann wurde durch die neue Verfassung die unabhängige Stellung des Prätors beeinträchtigt. 
Insbesondere war der Senat rechtlich den Beamten übergeordnet und mit selbständiger In- 
itiative ausgestattet. Nicht selten waren es Anregungen des Senats, die den Prätor zum Ein- 
greifen veranlaßten. Die Senatskonsulte stellen öfters nur einen rechtlichen Grundsatz auf 
und überlassen es dem Prätor, ihn durch Anordnungen und Edikte nach seinem freien Ermessen 
praktisch zu verwirklichen. So erzählt Plinius (ep. 5, 9, 4; 14), der Senat habe durch einen 
Beschluß auf die fortdauernde Geltung des Cincischen Gesetzes hingewiesen, und die Prätoren 
hätten diesem Beschlusse durch ein Edikt (breve ecictum) sofort Folge gegeben. So verfuhr 
der Senat namentlich beim Sc. Vellaeanum. Hier werden die Prätoren geradezu aufgefordert, 
darauf zu sehen, „ut es in re senatus voluntas servetur“, d. h. sie sollen mit ihren Mitteln dahin 
wirken, daß die Interzession der Frauen überall da ungültig sei, wo eine Verpflichtung der 
Frauen mit den Absichten des Senates unvereinbar sein würde. Und sie ergänzen die An- 
weisung durch Aufstellung besonderer Aktionen (der restitutoria und institutoria). — Daß 
solche Anregungen auch vom Kaiser ausgehen konnten, ist zweifellos; aber bis jetzt ist kein Edikts- 
satz nachgewiesen, der auf solche Einwirkung zurückginge (D. 43, 4, 3, 37). Diener des Kaisers 
im Rechtssinne sind die Prätoren niemals geworden, mochten sie sich auch seinem Willen tat- 
sächlich nicht widersetzen. Die kaiserliche Gerichtsbarkeit ging neben der prätorischen her (§ 41), 
hatte es nicht auf deren Verdrängung, sondern nur auf ihre Ergänzung abgesehen. Ob auch 
nur eine Berufung vom Geschworenenspruch an den Kaiser zulässig war, ist zweifelhaft. So 
blieb das Formularverfahren vor dem Stadtprätor unberührt, wie aus den darauf bezüglichen 
Erörterungen der klassischen Juristen klar hervorgeht, und die prätorische Rechtsbildung konnte 
sich noch geraume Zeit hindurch lebendig erhalten. Rechtsinstitute wie die bonorum possessio 
unde liberi und contra tabulas, die Pfandklage u. a. m. scheinen erst in der Kaiserzeit begründet 
worden zu sein. Auf die Dauer freilich war das freie ius edicendi mit der Allgewalt des Kaisers 
nicht vereinbar, und die Hauptaufgabe des Prätors, die freieren Rechtselemente neben dem 
Zivilrechte zur Geltung zu bringen, war ja auch gelöst. 
So war die Möglichkeit eines formalen Abschlusses des Ediktes gegeben. Vollzogen wurde 
er durch Hadrian (c. Tanta § 18). Dieser ließ durch Salvius Julianus, einen der 
bedeutendsten aller römischen Juristen, eine Revision, Sichtung und Ordnung der gesamten 
bisher aufgesammelten Edikte vornehmen. Die Arbeit fällt wohl zwischen die Jahre 130 und 
1 Eine Zusammenstellung der Senatuskonsulte, deren Wortlaut wir haben, s. Bruns, 
Fontes I p. 191—211. 
„ Bruns, Fontes I p. 202; vgl. S. 348 n. 1.
	        
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