Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

32 I. Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte. 
Koreanern) und bei den Indogermanen hervorgetrieben, namentlich bei den Hindus und bei 
den Griechen 1. 
Doch auch dieser und ähnliche Beweggründe verschwinden allmählich, und es bleibt nur 
das eine Familienmotiv übrig; dieses ist aber so mächtig, daß das Institut auch noch im heutigen 
Leben eine Rolle spielt, wenn es auch nicht mehr eine so maßgebende Einrichtung darstellt, 
wie z. B. im Leben der Hindus. Der Jllam allerdings kennt die Kindschaftsannahme nicht, 
aber aus dem besonderen Grunde, weil der Prophet sie verwarf, da sie ihm unbequem war: 
er wollte die Frau seines Adoptivsohnes mit unter seine Weiber aufnehmen, und er konnte 
dies nicht, solange die Frau seine Schwiegertochter war; darum erklärte er die Ankindung als 
unzulässig, da nur Gott, nicht Menschenmacht uns Kinder schenken könne. 
Von der Kindschaftsannahme wohl zu unterscheiden ist das nur bei den Rothäuten nach- 
weisbare System des Familienersatzes ein Gefangener wird in der Art in die Familie 
aufgenommen, daß er an die Stelle eines Verstorbenen tritt, sei dies nun ein Sohn, Bruder, 
Vater usw.; er gilt nun als der Fortsetzer der Seele des Verstorbenen, nimmt sein ganzes Sein 
in sich auf, bekommt dessen Vermögen, Familie usw. Diese Einrichtung war bei den Rot- 
häuten notwendig, weil sie in ihren Kämpfen oft vollständig dezimiert wurden: im Fall großer 
Verluste pflegten sie sich auf solche Weise aus den Gefangenen zu ergänzen. Natürlich setzt 
das Institut einen tiefen Glauben an diese Umwandlung voraus, auch von seiten der Gefangenen, 
denn sonst wäre es nicht möglich gewesen, daß ein solcher sich der feindlichen Familie rein und 
getreu angegliedert hätte. 
Ein anderes früher verbreitetes Institut ist das der Blutsbrüderschaft, auch 
Blutsschwesterschaft: zwischen zwei Personen tritt das Verhältnis von Bruder zu Bruder oder 
Schwester zu Bruder ein; ja, dies wird oft so weit fortgebildet, daß die beiden Brüder wie eine 
Einheit gelten, zwei Leiber und eine Seele, und diese Einheit zeigt sich in der Gemeinschaft 
der Frauen und des Vermögens: die Frau des einen Blutsbruders gehört auch dem anderen, 
das Vermögen des einen gilt zugleich als Vermögen seines Bruders, und keiner hat etwas vom 
anderen getrennt. So findet sich die Blutsbrüderschaft in weiten Teilen der Erde, auf den 
malalischen Inseln, wie in Ostafrika. Allmählich allerdings nimmt man an diesen tiefgehenden 
Folgen Anstoß, und man läßt die Blutsbrüder Freunde sein, ohne daß ihre Einzelpersönlich- 
keiten ineinander übergehen, und ohne daß der eine auf solche Weise im Hause des anderen 
schalten darf. Immerhin bleibt der Blutsbruder eine gewichtige Persönlichkeit, ein Helfer durch 
Rat und Tat; die hauptsächliche Bedeutung aber ist die Blutrache: ein Blutsbruder muß den 
anderen rächen, das ist seine heiligste Pflicht. Auf solche Weise ist uns in unseren Kolonien die 
Blutsbrüderschaft ein heilsames, ja unentbehrliches Institut geworden: die Blutsbrüderschaft 
mit einem mächtigen Häuptling wird dem Reisenden Leben, Hab und Gut sichern, weil der 
Mörder, der Vergewaltiger eine schwere Rache heraufbeschwören würde. Allerdings hat das 
Institut auch manche Bedenken, und die schwarzen Herren Blutsbrüder sind mitunter noch 
recht anspruchsvoll. Eine besondere Art der Blutsbrüderschaft ist die Pel a genossenschaft, 
der Blutsverband von Gemeinde zu Gemeinde (nach den Malaien so benannt), auch bei den 
Galliern und Südslawen nachweisbar, der sich auch in einer gegenseitigen Helferpflicht äußert 
und außerdem ein Ehehindernis bildet. 
Diese ganze Verwandtschaft ist in modernen Staaten verschwunden; mindestens finden 
wir sie in unseren kodifizierten Rechten nicht mehr, wenn sie sich auch bei einigen Völkern, wie 
z. B. bei den modernen Griechen, im Leben erhalten hat. Der Grund, warum sie verschwindet 
ist der, daß sie sich in ihrer späteren Entwicklung hauptsächlich auf die Blutrache hinausspielt, 
manchmal auch zu antistaatlichen Genossenschaften führt, was beides dem Fortschritt der Kultur 
weichen muß. 
Andere Arten der künstlichen Verwandtschaft haben geringere Bedeutung, ja oft nur 
ein örtliches Anwendungsgebiet. Immerhin darf das Institut der Milchverwandt- 
schaft im Islam nicht übersehen werden, das der Prophet aus dem Recht einiger Araber- 
stämme entnommen hat. Milch ist gleich dem Blut: das Kind steht zur Amme im selben Ver- 
hältnis wie zu seiner Mutter. Ja, selbst mehrere von der nämlichen Amme gesäugte Kinder 
1 Über das griechische Recht vgl. Kohler und Ziebarth, Recht von Gortyn S. 117.
	        
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