360 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
gewissermaßen fungible Persönlichkeiten, und darauf beruht es, daß wir in dem unendlichen
Detail ihrer Kasuistik doch ein System von so merkwürdiger Konsequenz finden.
§ 45. Das ius respondendi. Ein wesentliches Element in der Entwicklung der
römischen Rechtswissenschaft bildet die große praktische Bedeutung, die ihren Aus-
sprüchen zuteil wurde. Sie beruhte zunächst schon auf der natürlichen Macht, die die Wissen-
schaft als solche auf die unstudierten Beamten und Geschworenen ausüben mußte. Dazu
kam, daß die bedeutenderen Juristen meistens eine hohe politische Stellung einnahmen und
damit ihr persönliches Ansehen auf ihre Schriften übertrugen. Sie waren häufig Beamte
Freunde (amici) und Räte der Kaiser, d. h. Mitglieder des kaiserlichen consilium, die aus
der Zahl der amici gewählt zu werden pflegten, nämlich der Männer senatorischen oder ritter-
lichen Standes, welche die nähere Umgebung des Princeps bildeten (§ 42). Die Hauptsache
war indessen eine eigentümliche politische Einrichtung, die schon Augustus eingeführt hat, das
sogenannte ius respondendi. Pomponius erzählt, Augustus habe „ut maior iuris auctoritas
haberetur“, bestimmt, „ut ex auctoritate eius responderent“; die folgenden Kaiser hätten dies
weiter geführt, und immer einzelnen Juristen das „ius publice respondendi“ erteilt (beneficium
dari coepit). Dies Recht wird gewiß nur älteren und vornehmeren Männern verliehen worden
und auf stadtrömische Juristen beschränkt gewesen sein, was nicht ausschließt, daß einmal ein
Konsul mit dem Patente sich in der Provinz aufhielt (Fronto, Ep. ad. am. 2, 10 (6). Es ist
nicht so zu denken, als ob den nichtpatentierten Juristen das Gutachtenrecht entzogen worden
wäre; es ist kein Vorrecht, um das man sich, wie etwa um das Dreikinderrecht, beim Kaiser
bewerben konnte, sondern eine Auszeichnung für verdiente Rechtskenner. Dies scheint die
Meinung des Kaisers Hadrian nach einer dunklen Stelle des Pomponius (§ 45). Tatsächlich
aber entstanden allerdings zwei Schichten von Juristen. Denn nur den Responsen der paten-
tierten wird jene besondere Autorität eingeräumt. Mit Rücksicht darauf werden die Gut-
achten nicht mehr mündlich erteilt oder in einem Briefe an den Richter, sondern besiegelt
(signata), d. h. im verschlossenen Diptychon (§ 53) der Partei übergeben (der Inhalt des Gut-
achtens war jedenfalls auf der Außenseite wiederholt, der Partei also bekannt). Begründet
brauchten die Gutachten nicht zu sein. Sie enthielten aber immer eine gedrängte Darstellung
des Sachverhaltes; denn hier wie bei den Kaiserreskripten (§ 40) ist die Wahrheit des Vortrags
Voraussetzung für die Wirksamkeit der Entscheidung. Die Bedeutung des Privilegs dürfte
zunächst nur in einer Erhöhung der tatsächlichen Autorität des Gutachtens bestanden haben.
Mit der „auctoritas principum“ mußte aber auch die Autorität der Responsen steigen und
sich bald in eine rechtliche wandeln, derart, daß der römische Geschworene an das responsum
gebunden war, ähnlich wie der englische an die Rechtsbelehrung des judge. Auch mußte die
natürliche Entwicklung der Dinge dahin führen, daß die Geltung des einmal erstatteten Re-
sponsums nicht auf den einzelnen Prozeß beschränkt blieb, man sich vielmehr auch in anderen
Prozessen darauf berufen konnte und berief; daß ferner die Autorität, die die Responsen der
privilegierten Juristen genossen, sich auch auf ihre sonst irgendwie geäußerten Meinungen
übertrug, und daß zwischen denen lebender und verstorbener Juristen kein Unterschied gemacht
wurde. Das Schlußergebnis mußte sein, daß, wo und wie immer sich eine communis opinio
unter den Privilegierten gebildet hatte, der Richter daran gebunden war, und nur, wo ihre
Ansichten sich widersprachen, freie Hand behielt. Eben dies berichtet Gaius 1 7 als den
Rechtszustand seiner Zeit, den ein Reskript Hadrians bestätigt habe 1. Damit war der An-
fang einer eigentlich gesetzlichen Kraft der Wissenschaft und ihrer Lehrsätze gemacht.
s46. Stellung der Rechtswissenschaft. Die Rechtswissenschaft erlangt
in der Kaiserzeit durch die Veränderung des Staatslebens eine andere Stellung als früher.
Die monarchische Ordnung des Staates wies dem Ehrgeize und dem Talente eine andere
1 Die angeführte Stelle ist insofern problematisch, als Gaius anscheinend geradezu defi-
niert: responsa prudentium sunt sententiae et opiniones eorum, gleich als ob der sonst stets streng
technisch gebrauchte Ausdruck responsum ganz gleichbedeutend mit sententia et opinio wäre. Die
ärungsversuche sind zahlreich, keiner völlig befriedigend; vgl. u. a. Krüger, Gesch. der
Quellen S. 113, Jörs in Birkmeyers Enzyklopädie S. 84 N. 2, Conrat, Mölanges Fitting 1
p. 315. Für nachgaianisches Einschiebsel hält die Stelle Kniep, Gaius S. 38. Mir scheint