Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

3. Bruns--Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 361 
Laufbahn an als im Leben der Republik. Statt der Politik war jetzt hauptsächlich die innere 
Verwaltung und namentlich die Justiz das Feld, auf dem man zu Ansehen und Ehren ge- 
langen konnte. Dabei trat aber jetzt mehr und mehr das Bedürfnis eigentlicher Fachkennt- 
nisse zur gehörigen Verwaltung der Amter hervor. Während in der ersten Keiserzeit die 
höhere prokuratorische Laufbahn ausschließlich militärisch war, die kaiserlichen Verwaltungs- 
beamten durchgängig frühere Offiziere sind, kommt später — wahrscheinlich durch Hadrian, 
vielleicht schon früher — daneben eine rein bürgerliche juristische Vorbildung auf, die, wie es 
scheint, der militärischen gleichberechtigt wurde 1½: die Kaiser suchten möglichst Männer von 
anerkannter juristischer Bildung für die höheren Amter und zu ihren Ratgebern zu gewinnen. 
Das sicherste Mittel, juristische Befähigung zu zeigen, war aber, sich als Respondent, Lehrer 
und Schriftsteller hervorzutun. Demgemäß sehen wir, daß es die gewöhnliche Laufbahn der 
bedeutenderen Juristen war, als Lehrer und Respondenten anzufangen und dann allmählich 
zu Amtern und in den Rat der Kaiser aufzusteigen 2. 
§s47. Der Rechtsunterricht. In Verbindung mit dieser stärkeren Beteiligung 
an der Rechtswissenschaft steht die Ausbildung eines schulmäßigen juristischen Unterrichts. Im 
Beginne der Kaiserzeit war der Rechtsunterricht von der republikanischen Weise nicht wesent- 
lich verschieden. Er bestand, vielleicht nach einer vorgängigen privaten Unterweisung in den 
Elementen, darin, daß bekannte Rechtsgelehrte öffentlich Gutachten erteilten (publice respondere): 
die Jünger hörten zu; es wurde über den Fall verhandelt (tractare) und gestritten (disputare). 
In dieser Weise „lehrten“ Labeo und später z. B. Nerva, Javolen (D. 40, 2, 5) — vornehme 
Männer, die man nicht zu gewöhnlichen Rechtslehrern stempeln darf. Erst allmählich kamen 
— doch wohl nach dem Muster der seit Tiberius eingebürgerten Rhetorenschulen — Anstalten 
für den Rechtsunterricht auf. In einer solchen Schule lehrte sicher Sabin, wahrscheinlich auch 
Proculus. Hier wird der Unterricht systematisch getrieben. Es werden zur Einführung zu- 
sammenhängende Vorträge gehalten (instituere) und dementsprechend Lehrbücher für den 
Anfangsunterricht geschrieben (institutiones, regulae); im weiteren Fortschritte werden dann 
auch einzelne Fragen und Rechtsfälle behandelt. Mit dem Zudrange zur prokuratorischen 
Laufbahn wuchs das Bedürfnis nach juristischer Gewandtheit und Geübtheit. Und so werden 
zur Zeit des Pius zahlreiche „stationes ius publice docentium aut respondentium“ erwähnt 
(Gellius XIII 13). Man kann sie nur als private Lehranstalten für Rechtswissenschaft auffassen. 
Gegenüber den römischen Schulen traten die außeritalischen noch zurück: auch die Provinzialen 
kamen sehr zahlreich nach Rom, um zu studieren (D. 5, 1, 18, 1; 12, 1, 17 u. a.). Die be- 
rühmten Rechtsschulen in Beryt, Cäsarea und Alexandrien sind erst viel später entstanden; die 
von Beryt wird zuerst unter Severus Alexander erwähnt. 
§s 48. Die beiden Juristenschulen. In den Anfang der Kaiserzeit fällt die 
Begründung der beiden berühmten „sectae“ oder „scholae“ der Sabinianer oder Cassianer 
und der Proculianer. Ihre Entstehung und Bedeutung sind noch immer nicht klar ?, wohl 
hauptsächlich darum, weil der Ursprung etwas anderes war als die spätere Ausbildung. Der 
erste Anfang lag in einem rein individuellen Gegensatze zwischen zwei bedeutenden Juristen. 
M. Antistius Labeo und C. Ateius Capito waren anerkannt die beiden ersten 
Juristen unter Augustus, „decora pacis“, wie Tacitus (ann. III 79) sagt. Beide waren aber 
  
solgende Lösung die annehmbarste. Gaius fand in seiner zu unterstellenden Vorlage die responsa 
unter den Rechtsquellen aufgezählt, wobei nicht an die bindende Kraft des einzelnen Responsums, 
sondern an die Responsenliteratur überhaupt als Quelle des ius civile gedacht war. Dies will 
er mit Hilfe des Hadrianischen Reskripts erläutern, und darum sagt er: „Die Responsen sind an 
sich bloße Juristenmeinungen; wenn aber eben die Meinungen aller prudentes übereinstimmen, 
so" usw. Dabei braucht ihm m. E. gar nicht entgangen zu sein, daß seine Erläuterung eine selb- 
ständige, über den Satz der Vorlage hinausführende Bedeutung hatte. 
e 1 O. Hirschfeld, Die kaiserl. Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian, 2. Aufl. (1905) 
410 ff. 
* BVgl. Bremer, Die Rechtslehrer und Rechtsschulen im römischen Kaiserreiche. 1868. 
Dazu die Kritik von Degen kolb in der kritischen VBierteliahrsschrift XIV 517. 
* Ubersicht der Hauptmeinungen bei Baviera, Le due scuole dei giurecons. rom. (1898) 
p. 120 ff.
	        
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