364 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Freund des Tiberius (cos. vor 24, 33), der nach Pomponius' Berichte durch seinen Wider-
spruch gegen Sabin die Schulstreitigkeiten „noch vermehrte“; dann Proculus, von dem die
Schule den Namen trägt; im Staatsdienste scheint er nicht gewesen zu sein, wissenschaftlich
aber hat er vielfach eingegriffen; wir kennen von ihm nur Briefe in mindestens 11 B. Er
überragt seine beiden Zeitgenossen, den jüngeren Nerva (den Vater des Kaisers, Konsul
kurz vor 43)1 und einen sonst gänzlich unbekannten Longinus. Ferner Pegasus: er
war von niedriger Herkunft, begann, wie es scheint, als Rechtslehrer, war Konsul unter Vespasian,
Stadtpräfekt unter Domitian; er war wegen seiner Gelehrsamkeit berühmt („lber, non homo“):
wir sind aber außerstande, diesen Ruf nachzuprüfen. Weiter Celsus der Altere: sein Sohn
bezieht sich mehrfach auf seine Aussprüche; Schriften von ihm sind nicht bekannt. Endlich ge-
meinsam Celsus der Sohn (§5 50), und L. Neratius Priscus CII. IX 2454 sa.), der
Freund und Ratgeber Trajans (cos. unter Domitian, D. 48, 8, 0).
Außerhalb der Schulen stand die Mehrzahl der Juristen. Wenigstens ist es unmöglich,
ihre Zugehörigkeit nach äußeren oder inneren Merkmalen festzustellen. Zum Teile gelingt
es nicht einmal, von ihrer wissenschaftlichen Richtung und Bedeutung sich ein ungefähres Bild
zu machen. Hervorragend sind unter ihnen Titius Aristo, der im consilium Trajans
saß (D. 37, 12, 5), im ganzen aber als Gelehrter wirkte und einen großen Einfluß übte;
S. Pedius (noch unter Nero, Vespasian, Domitian? oder Zeitgenosse Julians?) :: er wies
im Vertragsrechte neue Wege.
§ 50. Höhepunkt und Verfall. Den Höhepunkt erreichte die Rechtswissen-
schaft unter der Regierung des Hadrian und Pius. In dieser Zeit wirkten nebeneinander
P. Juventius Celsus (cos. II. 129: D. 5, 3, 20, 6), einer der schärfsten, aber auch rück-
sichtslosesten Juristen, und L. Salvius Julianuss (cos. 148 n. Chr.), der als „ordinator
edicti praetorü et summae auctoritatis homo“ durch seine Schriften (namentlich durch seine
Digesta in 90 Büchern) einen außerordentlich weitgreifenden Einfluß gewann und als Begründer
der freieren Richtung der Wissenschaft nach Hadrian bezeichnet werden darf". Keiner ist
von den späteren Schriftstellern so viel benutzt und zitiert wie er, in den Pandekten an mehr
als 500 Stellen (abgesehen von seinen eigenen Exzerpten). Ein Schulgegensatz zwischen Celsus
und Julian findet sich nicht mehr, obwohl Pomponius beide als letzte Häupter bezeichnet.
Endlich Sex. Pomponius: er ist freilich ein weniger selbständiger Kopf, hat aber in
seinen großen Kommentaren das bis dahin angesammelte wissenschaftliche Material kritisch
verarbeitet. Er scheint kein Amt bekleidet zu haben; vielleicht war er Rechtslehrer. Neben
diesen verschwindet Gaius (unter Pius und M. Aurelh), der bei Lebzeiten als praktischer
Jurist kein besonderes Ansehen gehabt zu haben scheint und ohne jus respondendi war, aber
durch seine Institutionen, seine Systematisierung und seine historische Richtung für den späteren
Unterricht und die heutige Theorie eine ganz besondere Wichtigkeit erlangt hat 5. Unter Pius
und den folgenden Kaisern sind bedeutend: L. Volusius Maecianus, M. Aurels
der Prätor vom Jahre 65 (Tacit. ann. XV 62), der wegen seiner Berdienste bei der Piso-
nischen Verschwörung von Nero Triumphalornamente erhält, ist der spätere Kaiser selbst, nicht
sein Bater; vgl. Prosopogr. imp. Rom. 1 Nr. 974.
*Kipp, Gesch. der Quellen S. 126 N. 97.
* Daß zwischen Celsus und Julian ein persönlicher Gegensatz bestanden habe, wie öfter be-
hauptet worden ist, dürfte kaum erweislich sein, man müßte ihn denn schon darin ausgesprochen
finden, daß die beiden großen Juristen sich gegenseitig nicht zitieren.
* Buhl, Salvius Julianus. 1. Bd. 1888. Boulard, L. Salvius Julianus 1903.
Auf Julian bezieht sich eine 1899 entdeckte Inschrift (C.R. de l’acad. des inscr. 1899 p. 368 ss.),
aus der wir erstmals seinen vollen Namen (L. Octavius Cornelius Salvius lulianus Aemilianus)
und Genaueres über seine Laufbahn erfahren: er figuriert darin zuletzt als Prokonsul von Afrika
unter Marcus und Verus. Ob der Jurist mit dem Konsul des Jahres 148 identisch ist, erscheint
zweifelhaft, da letzterer nicht nur CII VI 375, sondern auch auf dem Diptychon bei Bruns,
Fontes 1 420 den Vornamen Ptublius) führt. Vgl. Girar d, NRH. XXAX p. 495, de Fran-
cisci, Rendic. dell’ ist. Lomb. XII p. 458, Kalb, Jahresber. 1907 S. 59 "64 119. Die Lesung
G(aius) in der scriptura interior des Diptychon ist nach Zucker sehr unsicher, s. Kalb a. a. O.
* Kübler, bei Pauly--Wissowas. v. Gaius. Kniep, Der Rechtsgelehrte Gaius
(1910). Kuntze, Der Provinzialjurist Gaius wissenschaftlich abgeschätzt (1883). Mit der zuerst
(1859) von Mommsen (Jur. Schriften II S. 26 ff.) verteidigten Provinzialjuristenschaft des