Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 369 
kunden ausgenommen; die Stipulation zählt schon Cicero zu den res quae ex scripto aguntur 
(top. 96; de part. or. 107, 130; ad Her. II 13). Wie weit auch andere Verträge, namentlich 
konsensuale, schriftlich aufgezeichnet wurden, läßt sich nicht bestimmen. Doch deuten viele An- 
zeichen auf eine allgemeine Sitte (Cicero, de or. 1 174; Seneca, de benef. III 15); so bei Dar- 
lehen (Seneca, de benef. VII 10, 3), Pfandbestellung (D. 22, 4, 4), p. de manumittendo (Seneca, 
Ep. 80, 5); bei Kauf, Miete und Gesellschaft lassen sich die eingehenden Bestimmungen und 
die häufige für Einzelnes oder das Ganze hinzutretende Stipulation (D. 17, 2, 71) nur schrift- 
lich vorstellen. Das cavere der römischen Juristen bezieht sich gewiß vorzugsweise auf 
schriftliche Geschäftsentwürfe (§ 29). 
Die Form der Urkunde scheint während der klassischen Zeit im Bereiche des römischen 
Rechtes, außer in Agypten, überall dieselbe gewesen zu sein: die Wachstafel 1. Ihre Gestalt 
war durch einen Senatsschluß unter Nero genau geregelt (Paulus V 25, 6). Die Urkunde ist 
ein Diptychon oder Triptychon: zwei oder drei rechteckige Holztafeln werden an einer Lang- 
seite durch Bänder zusammengehalten; sie sind durch Zerspalten eines Klotzes entstanden, 
sugen also mit der Spaltfläche genau ineinander. So hat man ein kleines Buch. Beim Tri- 
ptychon bleiben S. 1 und 6 als Deckel Holz. Dagegen S. 2—5 sind bis auf einen Rand aus- 
getieft (die 2. Tafel beiderseits, wie eine Schiefertafel) und mit schwarzem Wachse überzogen. 
In diese Fläche wird die Schrift geritzt, die nun heller erscheint. Die Urkunde wird auf S. 2 
und 3 geschrieben, parallel mit der äußeren Langseite. Die beiden ersten Tafeln werden dann 
mit einem durch Löcher (je eins an den Langseiten) gezogenen Faden umwunden, und der Faden 
wird auf S. 4 in einer im Wachse angebrachten Rille von den Zeugen festgesiegelt: neben das 
Siegel schreibt jeder Zeuge parallel der Schmalseite seinen Namen (im Genetiv). Der frei- 
bleibende Teil von S. 4 und 5 wird zu einer Wiederholung der inneren Urkunde (sog. scriptura 
exterior) benutzt. Bei Diptychen wird auf dem Holze des Deckels gesiegelt und darauf die 
Zeugenschriften und die scriptura exterior mit Tinte gesetzt . Die Zahl der Zeugen wechselt; 
durch Formvorschrift kann eine Minimalzahl gefordert sein 3. 
Die Urkunden sind nur vereinzelt Verfügungen (Dispositivurkunden), so z. B. die tabulae 
testamenti. In der Regel sollen sie nur dem Beweise dienen. Man unterscheidet objektiv 
und subjektiv stilisierte, je nachdem die Urkunde, die Parteien in dritter Person einführend, 
den Hergang, um den es sich handelt, berichtet (z. B. bei den pompejanischen Quittungen, daß 
der Gläubiger den Zahlungsempfang eingeräumt habe: dixit se accepisse), oder den Aus- 
steller in erster Person reden läßt (scripsi me accepisse). Letzterenfalls heißt die Urkunde 
chirographum, je nach der Form epistula. Eigenhändige Schrift oder subscriptio ist aber, 
trotz seines Namens, auf dem chirographum nicht wesentlich; wenn vorhanden, erhöht sie 
natürlich die Beweiskraft; im übrigen beruht die Beweiskraft aller Urkunden wesentlich auf 
den Zeugen. Die chirographa scheinen in der Regel von den Ausstellern untersiegelt worden 
zu sein . 
In Agypten, wo man von uraltersher als Schreibmaterial Papyrus zu benutzen pflegte, 
blieb es dabei auch in der Römerzeit. Auch bei den Papyrusurkunden begegnen wir den beiden 
obigen Formen: der subjektiven (eigt#go und önur#nua) und dem referierenden Protokoll; 
letzteres wird gewöhnlich von einem als Notar fungierenden Beamten oder Bankier errichtet 
und am Schluß von der erklärenden Partei selbst oder statt ihrer von besonderen Vertrauens- 
personen (broypa###) mit bestätigender Unterschrift versehen 5. 
1 Ein Erztäfelchen mit erhöhtem Rande, im Guadalquivir gefunden, enthält den Teil eines 
pactum fiduciae (CIL II 5042; Bruns, Fontes II p. 334). Es ist aber ein Formular, nicht ein 
wirklich errichtetes Rechtsgeschäft. 
* So“ bei der pompeianischen Fiduciaurkunde (Eck, 8RG. XXII S. 60 ff.); s. bulletino lI 
. 6. . 
p * Bruns, Die sieben Zeugen des r. R. 1877 (Kl. Schriften II S. 119. 131). Dazu noch 
Erman., R8R. XXXIII S. 172 ff. 
»Erman,a. a. O. S. 177 ff. 
* Die Einzelheiten der ägyptischen Urkundenform können an dieser Stelle nicht erörtert 
werden. Vgl. darüber Mitteis, Röm. Privatrecht I S. 307 ff., Wilcken -Mitteis, 
Grundzüge u. Chrestomathie der Papyruskunde (1912) II! S. 48 ff. Außerhalb Agyptens treten 
die Papyrusurkunden sehr viel später auf; im 6. Jahrhundert sind sie gewöhnlich: Marini, 
i papiri diplomatici, 1805. 
Enchklopädie den Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band 1. 24
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.