3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 371
Der Grundgedanke der Neuordnung ist, das auseinanderstrebende Reich, das unter
Valentinian und Gallien nahe am Zerfalle gewesen war, bei Trennung der ungleichartigen
Gebiete unter der Samtherrschaft der einträchtigen Regenten desto fester durch den Verwaltungs-
organismus zusammenzuschließen. Es wird daher in zwei große Verwaltungsbezirke (Orient
und Occident) zerlegt. Sie werden von zwei Augusti beherrscht, denen zwei Caesares als Ge-
hilfen und künftige Nachfolger beigegeben sind. Die Verwaltung (Krieg, auswärtige Politik,
Finanzen) ist gesondert, die Gesetzgebung gemeinsam (§ 64). Alles beruht auf den Augusti,
und diese müssen eines Sinnes sein. Bei dieser Verfassung ist es nicht geblieben: das Reich
ist wiederholt unter einem Herrscher vereinigt gewesen. Erst seit Valentinian ist die Trennung
dauernd geworden. Man hielt trotzdem an dem alten Gedanken fest, am Ende blieb nur die
Fiktion übrig, daß die Reichsteilung nur zu Verwaltungszwecken bestehe. Begreiflich konnte
man damit das Auseinandergehen des romanischen Abend- und des hellenistischen Morgen-
landes nicht verhindern.
§ 56. Der Kaiser ist hiernach notwendigerweise alles in allem; denn auf den kaiser-
lichen Persönlichkeiten beruht die Reichseinheit. Er ist nicht mehr der erste Bürger (princeps),
sondern dominus und deus, dem als solchem Kniebeugung und Gewandkuß (adoratio) zukommt;
schon durch seine Tracht ist er von allen Sterblichen unterschieden: alles, was ihn angeht, vom
Palaste bis zum Geldbeutel, wird als sacrum bezeichnet. Eine wirkliche Erbfolge ist auch jetzt
nicht anerkannt: das Wahlrecht steht rechtlich und fiktiv (Nov. Maior. 1) immer noch dem römischen
Senate zu; in Wirklichkeit ernennt in der Regel immer ein Augustus den anderen, und zwar,
so lange es anging, aus der Familie des Verstorbenen; bei völliger Vakanz usurpieren die beim
Tode des Augustus gerade anwesenden Zivil- und Militärbeamten die Wahl für sich. Immer
aber gilt der Kaiser als durch göttliches Recht zum Throne gelangt: „wenn er den Augustus-
namen erhalten hat, muß man ihm als der gegenwärtigen, leibhaften Gottheit treue Ergeben-
heit erweisen und stets wahren Diensteifer widmen; denn er herrscht nach Gottes Ordnung“
(Vegetius, de re mil. 2, 5). Daran hat also auch das Christentum nichts geändert. — Der Kaiser
ist von seinem Rate (consistorium) umgeben („umstanden“), dem alten consilium oder
auditorium, das jetzt aus den höchsten Staatsbeamten mit bestimmter Rangabstufung besteht.
Das consistorium berät den Kaiser vor allem bei seinen richterlichen Entscheidungen; es
hat die Vorberatung der Gesetze und Verwaltungssachen, die von Rechtssachen nicht ge-
sondert werden; feierliche Gesandtschaften werden vom Kaiser im consistorium empfangen
und beschieden.
§ 57. Der Reichssenat und die hauptstädtische Verwaltung. Der
Senat hat seine alte Stellung so gut wie ganz eingebüßt. Er ist im wesentlichen der Stadtrat
von Rom geworden. Das tritt noch mehr hervor, als Constantin in Byzanz Neurom gründet,
das fast genau wie die urbs aeterna ausgestattet und eingerichtet ist, also auch einen Senat hat.
Immerhin werden dem Senate noch Ehren erwiesen; seine Mitglieder sind mindestens clarissimi
(Räte dritter Klasse), sie haben einen bevorzugten Gerichtsstand vor dem praefectus urbi, der
Regierungsantritt des Kaisers, neue Gesetze werden dem Senate mitgeteilt, er wird zu kaiser-
lichen Gerichtssitzungen zugezogen. Dafür haben die Senatoren schwere Lasten für die All-
gemeinheit zu tragen: als Prätoren müssen sie Spiele veranstalten, neben der gewöhnlichen
eine außerordentliche Grundsteuer (kollis, gleba) entrichten und als „freiwillige Gabe“ das
unablehnbare aurum oblaticium bei festlichen Gelegenheiten an den Kaiser zahlen. Der Senat
besteht auch jetzt aus den Großgrundbesitzern (§ 22), aber zugleich aus den höchsten kaiserlichen
Beamten. Die mehreren tausend Mitglieder nehmen nicht alle an den Sitzungen teil (durften
es wohl gar nicht), müssen aber die finanziellen Verpflichtungen erfüllen.
Die Senatsgeschäfte beziehen sich sonach wesentlich auf die Verwaltung der Hauptstädte;
sie werden zum Teil von den altrepublikanischen Beamten geführt. Damit sind die beiden
Städte von der Reichsverwaltung ausgenommen sie haben ihren eigenen Beamtenorganismus.
An der Spitze steht der praekectus urbi, der die Leitung des Senats, die Verwaltung und die
Gerichtsbarkeit (in Rom bis zum 100. Meilensteine) in sich vereinigt. Unter ihm stehen die
praefecti vigilum und annonae auf der einen, Prätoren (mit einer Gerichtsbarkeit in Vormund-
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