374 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
an ihn selbst Berufung zulässig ist (C. Iust. 3, 3,2). Unter den Rektoren stehen die Städte mit ihrer
alten Verfassung: die curia wählt jetzt die duoviri (magistratus) auf Vorschlag des Vorgängers,
der für sie haftet. Sie haben Gerichtsbarkeit in geringfügigen Sachen und Steuererhebung.
Die Selbstverwaltung ist in fiskalischem Vorteile verwertet: die Kurialen haften für den auf-
zubringenden Steuerbetrag persönlich. Der alte curator reipublicae (§ 36) spielt nur eine
untergeordnete Rolle mit unsicheren Befugnissen (C. Th. 8, 12, 8). Dagegen wird neu ein-
geführt der dekensor civitatis. Er soll nach Valentinians I. Verordnung von 364 von allen
Gemeindegliedern aus den vornehmen Leuten auf fünf Jahre gewählt werden und die „Niedrigen“
gegen die „Mächtigen“ schützen. Er erhielt aber auch die Befugnis, Beschwerden sofort zu er-
ledigen, bei Vergehen einzugreifen, bei Steuerbeitreibung mitzuwirken; er wird so ein neuer
Beamter neben den städtischen.
Mehrere Provinzen werden zu einer Diözese unter einem vicarius, mehrere Diözesen
unter einem praefectus praetorio zusammengefaßt; allmählich (ständig seit dem Tode Theodosius
des Großen, 395) stellen sich diese Präfekturbezirke auf vier (Oriens, Iyricum, ltaliae, Galliae)
fest. Doch ist das Schema nie vollständig durchgeführt. Der Präfekt hat die oberste Verwaltung,
das Recht, die Beamten vorzuschlagen und zu beaufsichtigen, also Disziplinargewalt; er ist gegen-
über den Rektoren Berufungsgericht und darf sogar allgemeine Verordnungen mit bindender
Kraft (kormae generales) erlassen. Der Vikar steht ebenso in der Diözese an Stelle der Prä-
fekten: er ist nicht Delegierter seines Präfekten, sondern hat selbständige Amtsgewalt neben
ihm: daher konkurriert er mit ihm namentlich in der Gerichtsbarkeit: beide urteilen an Kaisers
Statt (vice sacra): man soll sich an den nächsten wenden; im Zweifel geht der Präfekt vor.
Die Entscheidung des Präfekten selbst ist inappellabel; vom Spruch des Vikars dagegen kann
an den Kaiser (nicht an den Präfekten) appelliert werden.
II. Christentum und Kirche.
§ 61. Ein ganz neues Element in Reich und Recht ist das Christentum. Unter
Konstantin wird es anerkannt, unter Gratian und Theodos I. in der römisch-katholischen Form
zur Staatsreligion erhoben. Von da ab beginnt es sofort auf alle Staatseinrichtungen einen
weitgreifenden Einfluß zu üben und den Staat zu einem christlichen umzugestalten. Zunächst
wird der heidnische Kultus abgeschafft, die alten Tempel und die Kollegien ausgehoben und
ihr Vermögen eingezogen. Dann folgen Maßregeln gegen Heiden, Juden, Ketzer und nament-
lich Apostaten: sie werden für ehrlos erklärt, es wird ihnen in verschiedener Form und ver-
schiedenem Umfange die Rechts- und Handlungsfähigkeit geschmälert, das Recht letztwillig zu
verfügen, Erbschaften und Schenkungen zu erwerben, der Eintritt in die Amter untersagt.
*62 Die Bischöfe:t. Die Kirche ist seit Konstantin als selbständig in ihren inneren
Angelegenheiten anerkannt. Ihre Vertreter sind die Bischöfe; sie werden von der Gemeinde
gewählt, höchstens die in den Residenzen vom Kaiser ernannt. Sie haben in ihren Sprengeln
eine monarchische Ge alt über Klerus und Laien in allen religiösen Dingen und nehmen eine
unabhängige, tatsächlich der des Statthalters ebenbürtige, mitunter überlegene politische Stellung
ein. Ihre Machtmittel sind einmal die geistliche Zuchtgewalt: sie üben sie kraft göttlicher Voll-
macht unter staatlicher Anerkennung über Geistliche und Laien, sogar Beamte, namentlich ver-
hängen sie Ausschluß aus der kirchlichen Gemeinschaft. Ferner haben die Bischöfe dem Ge-
brauche der Christengemeinden entsprechend eine ausgedehnte schiedsrichterliche Tätigkeit ent-
wickelt. Zeitweise wurde ihnen sogar, wohl nach Analogie der jüdischen Gemeindevorsteher,
Zivilgerichtsbarkeit neben den ordentlichen Gerichten verliehen, dann aber wie jenen entzogen.
Das bischöfliche Schiedsgericht blieb; sein Spruch soll von den Beamten vollstreckt werden
(C. I. 1, 4, 8). Auch für die Strafrechtspflege war der bischöfliche Einfluß staatlich anerkannt;
die Bischöfe haben das Recht der Fürbitte für den Angeklagten und überwachen die Gefäng-
nisse; in beiden Beziehungen wird ihre Macht durch Justinian noch vermehrt. Endlich ver-
1: Löning, Geschichte des deutschen Kirchenrechts. 1878. Bd. I Kap. I. Boyl.
Matthiaß, Die Entwicklung des römischen Schiedsgerichts (1888) S. 130.