Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

376 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
und des Konsistoriums erlassen, und sogar Justinian hat dies noch wiederholt (C. I. 1, 14, 8); 
indessen ist daran kaum festgehalten worden. Die Formen der Gesetzgebung sind mannigfaltig. 
Eigentliche Gesetze sind die leges edictales oder generales: sie haben die Form von brieflichen 
Ansprachen und richten sich ad populum, ad senatum, namentlich aber an die Präfekten des 
Prätoriums. Daher knüpfen sie eher an die orationes in senatu habitae an (§ 37), die voll- 
ständig aufhören, als an die alten Edikte. Die Verkündung erfolgt durch Aushang oder durch 
Verlesen im Senate. Die Mandate verschwinden, wenn auch der liber mandatorum ein Ab- 
zeichen der Statthalter bleibt; erst Justinian hat sie erneuert. Die Bedeutung der Restripte 
wächst mit der Zunahme des Reskriptverfahrens. Sie verschwimmen jetzt mit den Dekreten 
in eins: denn der Kaiser entscheidet auf Berufung durch Handschreiben. Je mehr der juristische 
Wert der Reskripte sinkt, desto größer wird die Gefahr einer unrichtigen Verallgemeinerung. 
Deshalb wird bestimmt, daß die Reskripte nur für den Einzelfall maßgebend sein sollen, wo 
sie sich nicht selbst in irgendeiner Form allgemeinere Geltung beilegen (C. I. 1, 14, 3); dagegen 
sollen ihre Auslegungen des bestehenden Rechtes authentisch sein. Besondere Formen kaiser- 
licher Reskripte scheinen die adnotatio und die sanctio pragmatica, deren Wesen bis jetzt noch 
nicht sicher festgestellt ist 1. 
Die Teilung des Reiches erscheint lediglich als Abgrenzung von Verwaltungsbezirken 
der Samtkaiser (§ 55). Daher hat sie auf die Gesetzgebung zunächst keinen erheblichen Einfluß. 
Die Gesetze jedes einzelnen Herrschers werden regelmäßig unter dem Namen aller Mitkaiser 
veröffentlicht 2, sie gelten deshalb als für das ganze Reich verkündigt und bindend. Das änderte 
sich, als tatsächlich die beiden Reichshälften mehr und mehr auseinandergingen (C. Th. 1, 1, 5). 
Die einseitig erlassenen Gesetze gelten nur dann in dem anderen Gebiete, wenn sie dort gleich- 
falls verkündigt worden sind. Die Sprache der Gesetze ist, wie die kaiserliche Kanzleisprache 
überhaupt, lateinisch. Erst seit dem Jahre 534 wird das Griechische überwiegend, das früher 
nur hier und da, besonders in Gesetzen für die östliche Reichshälfte, auftritt. 
Der Geist der neuen Gesetzgebung? wird allmählich ein anderer. Unter Diocletian hält 
sich noch die knappe Form und die juristische Sauberkeit. Aber bald verschwinden die alte 
Schärfe des Gedankens, die legislative Umsicht und namentlich die feste Technik des Rechts. 
Die Gesetze werden meistens durch einen konkreten Fall veranlaßt, und man vermag dann nicht 
die allgemeine Bestimmung von dessen Gepräge loszureißen und selbständig zu bilden, ebenso- 
wenig neben dem bezweckten faktischen Erfolge auch die technische Form ins Auge zu fassen. 
Die Gesetze sind daher breit und schwülstig in den faktischen Elementen, ungenau, unklar und 
beschränkt in den juristischen Gedanken. Doch haben sie die Entwicklung des römischen Rechts 
zu seiner weiteren Universalisierung fortgeführt, wenn auch nicht in befriedigender, doch in 
erträglicher Weise. Die Macht der Verhältnisse trieb mit einer gewissen Notwendigkeit dazu; 
das Bedürfnis und die Aufgabe der Gesetzgebung wurde in der Regel wenn nicht erkannt, doch 
gefühlt; man hatte nur nicht mehr die Kraft, sie in entsprechender Weise zu erfüllen. 
IV. Witssenschaft. 
§ 65. Die erstorbene produktive Wissenschaft der großen Juristen 
wieder ins Leben zu rufen, war natürlich kein Kaiser imstande. Die Wissenschaft erlosch nicht 
wegen der Ungunst der Zeiten und nicht, weil ihre Aufgabe erschöpft gewesen wäre. Man 
hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die gceschichtliche Zwiespältigkeit des ius civile und 
honorarium und das kaiserliche Konstitutionenrecht den Versuch einer Zusammenbearbeitung 
geradezu forderten. Wie schwierig es war, das klassische Recht mit seinem Formularverfahren 
für den neuen Prozeß zu verwerten, zeigen Justinians Rechtsbücher. Dennoch ist auch hier 
nichts geschehen. Die Produktivkraft der Juristen geht mit der Vernichtung des römischen 
1 Vgl. über die sanctiones pragmaticae Mommsen,, Jur. Schriften III S. 326 (ZR . 
38 S. 51). 
: Mommsen, Hermes XVII S. 523 ff. 
„ Auf uns gekommen sind die Kaisergesetze dieser Zeit hauptsächlich durch die Sammelwerke 
des 5. und 6. Jahrhunderts. Vgl. außerdem Haenel, Corpus legum ab imperatoribus romanis 
ante lustinianum latarum (1857) p. 182—282.
	        
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