378 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Die ganze Arbeit und Weisheit der großen Juristen würde allmählich vollständig ver-
loren gegangen sein, wenn ihre Resultate der Praxis nicht näher gelegt und zum täglichen Ge-
brauche bequemer gemacht worden wären. Die Arbeit des Sammelns, Vergleichens, Ab-
wägens und Entscheidens mußte ein für allemal von oben her, von Staats wegen, geschehen
und danach der Praxis eine gesetzliche Zusammenstellung in die Hände gegeben werden. Das
erkannte Justinian, führte es in seinen Pandekten aus und ist damit der Erhalter der
römischen Jurisprudenz für die Nachwelt geworden.
V. Sammlungen des Nechts.
A. Vor Justinian.
§ 66. Das Bedürfnis, die Ergebnisse der Rechtsbildung übersichtlich zu-
sammenzufassen, wurde schon lange vor Justinian dringend fühlbar und rief allerlei Vorläufer
seiner Sammlungen hervor. Am dringendsten war es bei den kaiserlichen Verordnungen.
Schon zur Zeit der großen Juristen finden sich daher Schriften, welche Kaisererlasse wieder-
geben: so das Werk des Papirius Justus (unter Marcus) de constitutionibus (der divi fratres
und des M. Aurel) in 20 Büchern; es bringt nicht den Wortlaut selbst, sondern den Inhalt der
Entscheidung. Das Bedürfnis nach Sammlungen wuchs noch mit der starken Vermehrung
der kaiserlichen Erlasse seit Diocletian. Man fing nun an, den Text der Konstitutionen selbst
zu veröffentlichen.
Dies geschah zuerst in zwei Privatsammlungen, den nach ihren Verfassern benannten
codices Gregorianus und Hermogenianus. Sie treten immer zusammen und in dieser Folge
auf; jedenfalls ist die zweite Sammlung danach als Ergänzung der ersten anzusehen. Der cocd.
Gregor. zerfällt in Bücher und diese in Titel, der cod. Hermog. nur in sehr zahlreiche
(schol. Sinait. § 5) Titel. Der erste enthält Erlasse von Hadrian (wie wir aus Justinians Kodex
bestimmt entnehmen können) bis auf Diocletian. Wahrscheinlich ist er also unter diesem Kaiser,
vielleicht auf seine Veranlassung, angelegt: denn der Verfasser hat sicher das kaiserliche Archiv
benutzt. Auch der cod. Hermog. fällt wohl in seiner ursprünglichen Fassung noch unter Dio-
cletian; aber es sind Nachträge und Neuausgaben davon gemacht. Von beiden Sammlungen
haben wir nur dürftige Bruchstücke in den späteren Werken, die sie benutzten 1.
Im Anschlusse an diese beiden Codices ließen Theodos II. und Valentinian III. 429 eine
Sammlung der edicta und leges generales seit Constantin anlegen. Die dazu eingesetzte Kom-
mission wurde nicht fertig; es mußte 435 eine neue gebildet werden, und diese brachte das Werk
in etwas über zwei Jahren zustande. Es hat Gesetzeskraft seit 1. Januar 439 als codex Theodo-
sianus 2, nachdem es 438 durch Vorlegung im römischen Senate verkündigt war. Das Gesetz-
buch enthält über 3000 leges; es zerfällt in 16 Bücher, wie es scheint: nach dem Systeme der
Digestenwerke (§ 51), diese in Titel, in denen die Erlasse nach der Zeitfolge stehen. Die sach-
liche Ordnung hat vielfach die Zerlegung größerer Kaisererlasse bedingt, wenn sie Verschieden-
artiges enthielten; Verkürzungen und Umgestaltungen, zu denen die Verfasser ermächtigt waren,
finden sich häufig. Das Werk ist fast vollständig auf uns gekommen 3. Ursprünglich war auch
eine Bearbeitung der Juristenschriften beabsichtigt; dieser Plan aber wurde anscheinend schon
435 aufgegeben (cod. Theod. 1, 1, 5 und 6). Die nach dem Kodex bis zum Untergange des
abendländischen Reiches in beiden Reichen erlassenen Gesetze (novellae leges), die nach Ver-
1 Neueste Ausgaben: Codicis Gregor. et cod. Hermog. fragmenta, ed. G. Haenel. 1837.
der goll. libr. iur. anteiust. III p. 224 sqq. von P. Krüger. Vgl. Kipp, Gesch. d. Quellen
. 14.
Dies ist der authentische Titel, nicht, wie Mommsen in seiner Ausgabe (s. N. 3) annimmt,
bloß Theodosianus. Vgl. Krüger, 86. XXXIX S. 329 ff.
Teils durch einen Auszug im westgot. Gesetzbuche, teils direkt durch verschiedene Reste
von Handschriften, die zum Teil schon im 16., zum Teil erst im vorigen Jahrhundert aufgefunden
sind. Beste Ausgabe von Th. Mommsen, Tbeodosiani libri XVI etc. 1905. Von älteren
Ausgaben zu nennen die von G. Hänel 1842. Die ersten 5 Bücher herausgegeben in Form
eines Apographum der Turiner Handschrift von P. Krüger: Codicis Theodosiani fragmenta
Taurinensia. 1880. 4. Von den älteren Ausgaben ist die von Jak. Gothofredus in
6 Foliobänden wegen ihres großartigen Kommentars noch jetzt unentbehrlich. Sie ist erst nach