Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

384 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
Werkes bildete; so Scävola, weil seine responsa directa aspera simplicia den Kompilatoren 
bedenklich erschienen 1. 
Der Wert der Kompilation muß, wenn man einen billigen Maßstab nach den damaligen 
Verhältnissen anlegt, ziemlich hoch gestellt werden. Die Aufgabe war außerordentlich schwierig, 
außerlich wegen der Masse und Unbequemlichkeit der Bücher, innerlich wegen der vielen und 
großen Veränderungen, die im ganzen Rechte eingetreten waren. Die erste Schwierigkeit 
haben die Kompilatoren verhältnismäßig gut überwunden, namentlich bei der kurzen Zeit, die 
sie brauchten, wiewohl es an Lücken, Wiederholungen und Widersprüchen nicht fehlt. Weniger 
gewachsen waren sie der zweiten Schwierigkeit. Die Spuren der alten Rechtszustände, des 
längst außer Geltung getretenen Formularprozesses, der abgekommenen oder abgeschafften 
Rechtsinstitute sind an zahllosen Stellen erkennbar, die Interpolationen oft recht ungeschickt 
und oberflächlich. Was freilich die Digesten durch diese Mängel an Wert als Kodifikation des 
Justinianischen Rechts verlieren, haben sie an historischem Interesse gewonnen. 
UÜber die gesetzliche Kraft der Sammlung bestimmte Justinian, daß alles Aufgenommene 
vollständig gelten solle, wie wenn es sein eigenes Gesetz wäre, alles nicht Aufgenommene da- 
gegen gar nicht mehr. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der sog. duplex interpretatio der 
Digesten: die Stellen sind erst auszulegen im Sinne ihrer Verfasser; dabei ist der gesamte Ge- 
dankengang entscheidend; dann aber im Sinne Justinians, und da kommt es wesentlich auf 
die praktische Spitze an. In törichter, aber nicht beispielloser, legislativer Verblendung verband 
der Kaiser damit das Verbot, die alten Bücher mit seinen Pandekten noch zu vergleichen oder 
gar neue darüber zu schreiben. Das letztere wurde schon bei seinen Lebzeiten und von den Ver- 
fassern der Pandekten selbst übertreten, das erstere scheint man, wenngleich es bei den byzanti- 
nischen Juristen der nächsten Zeit an wertvollen Spuren von Kenntnis des alten Rechtes nicht 
fehlt, gründlicher befolgt und einfach durch Vertilgung der alten Bücher gesichert zu 
haben. Wenigstens läßt sich der absolute Mangel alles und jedes Uberrestes kaum anders 
erklären. 
4. Die Institutionen. Das neue Gesetzbuch des codex juris und legum machte 
eine neue Ordnung des ganzen Rechtsstudiums nötig. Justinian hat darüber ein eigenes Gesetz 
erlassen. Dabei stellte sich heraus, daß für die Einleitung in das Studium ein anderes Buch 
als die alten Institutionen von Gaius, Ulpian usw. notwendig sei. Die Abfassung der Wissen- 
schaft zu überlassen, entsprach dem Geiste der Zeit nicht. Es mußte ein gesetzliches Institutionen- 
kompendium angefertigt werden. Tribonian bekam den Auftrag dazu schon während der Ab- 
fassung der Pandekten, und es war schon früher als diese fertig, schon am 21. November 533 
wurde es verkündigt (c. Imperatoriam). Zwei Professoren von Konstantinopel und Beryt, 
Theophilus und Dorotheus, hatten es verfaßt, Tribonian hatte nur die Ober- 
leitung. Sie teilten sich anscheinend so, daß der eine Buch 1 und 2 und 4, 18 (de publicis iudiclis) 
bearbeitete, der andere Buch 3 und 4; wer dies, wer jenes, ist streitig 2. Im ganzen haben sie 
sich die Sache leicht gemacht. Sie legten den Gaius wörtlich zugrunde (daher fehlen Pfand- 
und Dotalrecht); sie ließen das Veraltete und die historischen Ausführungen weg oder machten 
kurze Einleitungen daraus, schalteten dagegen Exzerpte aus anderen Schriften ein und fügten 
1 Die Forschung nach Interpolationen war wegen mancher Übertreibungen, von denen 
insbesondere die Vermutungen des im übrigen hochbedeutsamen A. Faber (Coniecturarum 
juris civilis 1. XX u. a.) nicht frei sind, sehr zum Schaden der romanistischen Wissenschaft lange 
in den Hintergrund getreten. Neuerdings ist sie mit sicherer Methode und schönem Erfolge wieder 
aufsgenommen worden und bildet heute geradezu die Grundlage aller romanistischen Studien. 
Anstoßgebend wirkten, neben Lenels Edikt (s. S. 352 N. 4): Gradenwitz, Interpolationen 
in den Pandekten (1887), Eisele, 8RG. XX, XXIII, XXIV, XXVI, XXXI, XLIII. Neben Deutschen 
haben sich insbesondere eine große Zahl italienischer Forscher um sie verdient gemacht. Über die 
hauptsächlich maßgebenden Gesichtspunkte vgl. Jörs, a. a. O. unter IV. Sehr wichtiges Hilfs- 
mittel ist die ohilologische Untersuchung der Sprache der einzelnen Juristenschriften, vgl. ins- 
besondere Kalb, Das Juristenlatein 1888; Roms Juristen 1890. Die Herstellung eines Corpus 
interpolationum. das eine rasche Ubersicht üüber die überall verstreuten Forschungsergebnisse er- 
möglichen soll, ist in Vorbereitung. 
: Grupe, De lustiniani institutionum compositione. 1884 (er weist den von 
H u 1. chte zuert ausgesprochenen Gedanken als richtig nach). Ferrini, Archivio giuridico 
X p.
	        
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