J. Kohler, Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte. 35
fertigt, und zwar abwärts, nicht aufwärts. Auch ist die Gestaltung unserer Gesetzbücher,
welche die Eltern den Geschwistern vorziehen, wenig empfehlenswert; die Erbfolge sollte
nur beschränkt nach aufwärts gehen 1.
8§ 26. Erbschaft der agnatischen Familie.
Die agnatische Familie hat der Erbfolge ihr Gepräge sehr scharf eingedrückt: nicht nur
erben lediglich solche Personen, die durch Männer, d. h. durch Zeugung, verbunden sind, sondern
man beginnt sogar die Frauenspersonen, auch wenn sie auf diese Weise verbunden sind, aus-
zuschließen. Man drückte die Frau im Rechtsleben überhaupt herunter und wollte sie nicht
zur Trägerin eines größeren Vermögens machen: sie sollte das Anhängsel der einen oder
anderen Familie sein und keine selbständige Stellung haben. Später hat mum dieses Prinzip
gemildert. Mohammed gab den Frauen, entgegen den früheren Bräuchen, ein Erbrecht, aber
allerdings in höchst unorganischer Gestaltung. Wenn z. B. eine Schwester mit dem Bruder,
eine Tochter mit dem Sohn zusammentrifft, so wird die Frau Erbin wie ihr mänmlicher Partner,
aber sie bekommt nur einen halben Mannesteil, entsprechend dem alten Grundsatz, wonach die
Frau nur ein halbes Wergeld hatte. Wenn dagegen die Frau keinen solchen gleichartigen männ-
lichen Partner hat, so beruft sie Mohammed zu einem festen Teil, Fardh, etwa ein halb, ein
sechstel usw. Auf diese Weise bekommt die Tochter, die Sohnestochter, die Schwester, die
Mutter (aber auch der Vater, die Ehegatten und die uterinen Geschwister) solche Fardh-Teile.
Dadurch wurde natürlich das System äußerst verwickelt, unübersichtlich und es führte zu den selt-
samsten Sonderlichkeiten. So konnte es z. B. kommen, daß die uterinen Geschwister als Fardh-
Erben gerufen waren, während die vollbürtigen Geschwister keinen Teil bekamen, weshalb
ein Kalif die berühmte sogenannte Eselsentscheidung erließ, indem er fingierte, der Vater der
vollbürtigen Geschwister sei ein Esel gewesen, so daß sie nur noch als uterine Geschwister zählten
und als solche zur Erbschaft gelangten 7.
§ 27. Verfügung von Todes wegen ?.
Von solcher Verfügung haben die Völker ursprünglich keinen Begriff; sie können sich nicht
denken, daß man nach dem Tode, wo man nicht mehr ist, noch vollkräftig wirken kann, und ins-
besondere wird es als ein Widerspruch erachtet, wenn der Erblasser für eine Zeit verfügen will,
wo er selber nicht mehr lebt und mithin der Verfügungsfähigkeit gebricht. Allein hier wirkte die
obige Idee nach, welche dem Einzelmenschen das Eigentum über den Tod hinaus widmete,
so daß er es unter Lebenden in einer auch die Erben bindenden Weise veräußern durfte. Hatte
man einmal dem Eigentümer die Befugnis gegeben, das Eigentum seinen Erben zu entziehen,
so wurde man zu der Annahme gedrängt, daß der Eigentümer auch in der Lage sei, zu erklären,
daß das Eigentum im letzten Augenblick seines Lebens auf einen anderen übergehen solle, und
dies führte von selbst zur Verfügung von Todes wegen. Auf diesem Wege mußte man zum
sogenannten Erbvertrag gelangen, und seine Bildung wurde noch durch zwei besondere Um-
stände unterstützt: man konnte jemanden zum Kind annehmen; dann war er von selbst
Erbe des Vermögens — er war es als künstlicher Sohn; nichts stand aber im Wege, daß die
Kindesannahme in der Art abgeschwächt wurde, daß man sie auf das Erbrecht beschränkte und
alle anderen Züge des Familienverbandes, die sonst mit der Ankindung verbunden waren,
auslöschte. Ein anderer Gedanke war es, daß man die Volksversammlung anrief und vor der-
selben und mit ihrer Zustimmung das Vermögen für sofort oder in die Zukunft übertrug; hier-
durch erlangte die Verfügung zu gleicher Zeit einen gewissermaßen öffentlichen Charakter und
galt als Gesetz.
Der Erbvertrag war bindend und konnte nur mit Zustimmung des Vertragsgegners
wieder ausgehoben werden. Das war lästig, und wäre die Menschheit nicht darüber hinweg-
gekommen, so wären die Verfügungen von Todes wegen eine Ausnahme geblieben. Aber
: Bgl. meine Gesammelten Abhandlungen S. 364.
* Rechtsvergleichende Studien S. 108.
: Lehrbuch der Rechtsphilosophie S. 137.
:3 *