Grundzüge des römischen Privatrechts. 405
utilis, füllen sie den Rahmen, der die Schuldvertragstypen und Deliktstatbestände einschließt,
voller aus, dehnen sie die Typen und lassen zwischendurch den Parteiwillen neue nach stärkerem
Belieben kreieren 1. Zu einem irgend befriedigenden gesetzgeberischen Abschluß, geschweige
denn zu einer Abrundung oder gar Umgießung des Rechtssystems langte die Kunst der
byzantinischen Gelehrten selbstverständlich nicht aus. Erst der Usus modernus Pandectarum
bekannte sich offen zu dem Grundsatz der Formlosigkeit der Verträge, und erst das 19. Jahr-
hundert erkannte bewußt den Begriff des Rechtsgeschäfts; ja die Lehre von den Rechtshand-
lungen und das Problem der gemischten Verträge vermochte noch das deutsche Bürgerliche
Gesetzbuch nicht zu bewältigen, es bleibt bei den bloß vermehrten und umgebildeten Vertrags-
typen stehen.
Wie es aber ungerecht wäre, deshalb das BG. oder auch nur die Justinianische Kom-
pilation gering zu achten, so darf nicht verkannt werden, was beide den Klassikern verdanken.
Die Ansätze zu allem Späteren liefern schon sie. Es gilt zwar, die scharfe Linienführung zu
beobachten, die ihr Aktionensystem bedingte, es wäre aber völlig verkehrt, das Bild des römischen
Rechts mit Absehen von alledem wiederherstellen zu wollen, was das außerordentliche Verfahren
in den Provinzen und sogar in Rom, was der Verkehr, die Bemühungen der Juristen und der
Kaiser an Härten ausglichen, an den Zügen des Systems verwischten. Wir dürfen es für eine
vorübergehende Ubertreibung halten, wenn augenblicklich bei sehr vielen Interpolationenforscherm
die Neigung bestebt, Rechtsbesitz und Innominatkontrakte, Actio ad exemplum institoriae
und Rechtsklage aus der Superficies und so viele wichtige actiones utiles glattweg für unklassisch
zu erklären.
Richtig dagegen ist, daß die Juristen die Sonderart des Familienrechts nicht erkennen,
die Arten der Vermögensrechte nicht klar scheiden, nicht einmal den Begriff des dinglichen
Rechts im allgemeinen ausbilden. Die Obligation wird wenig systematisiert, ihre Gründe werden
sehr mangelhaft zusammengefaßt. Um so weniger ist eine allgemeine Theorie der Verträge
römisch. Das Erbrecht ist eine ungeordnete Menge alter und neuer Einrichtungen, bedeutender
und abstruser Ideen. —
Das objektive Recht fassen die Römer im wesentlichen zutreffend, sie teilen es auch bereits
in das öffentliche und das private?. Nur einen losen Anhaltspunkt für uns bietet aber die
Gaianische Teilung des objektiven Rechts in das Personen-, Vermögens- und Aktionenrecht.
Die moderne Darstellung, zwischen die Gefahren quellenwidriger Verallgemeinerung und
unülbersichtlicher Zersplitterung gestellt, tut wohl am besten, wenn sie unter Verzicht auf alle
doktrinäre Sauberkeit die kürzeste Fassung anstrebt. Leider laufen dabei noch viele unechte
Zusammenfassungen und Gruppierungen mit, die wir vom gemeinen Recht her gewohnt sind,
und manche noch ungenügend erkannten antiken Lehren bleiben verdeckt. Es ist eine Aufgabe
der Zukunft, die Abhängigkeit vom Pandektenrecht zu beseitigen. Dieses führte zum Teil zu
unserem dogmatischen Können, zum Teil auf Irrwege, aus denen uns Nachdenken, Rücksicht
auf die Lebensverhältnisse, Vergleich der heutigen Rechte, nicht zum wenigsten aber auch die
geschichtliche Beleuchtung der gesamten Rechtsentwicklung zurückhelfen müssen. Je reiner die
letztere den urrömischen, den klassisch-juristischen, den späten Rechtsgedanken herauszustellen
vermag, desto sicherer ist der Erfolg auch für die Aufklärung der historisch zufälligen und der
sachlich bedingten Bestandteile des heutigen Rechtszustands.
Von alledem aber verdient augenblicklich unser Thema die meiste Aufmerksamkeit. Zwar
galt in Deutschland das Justinianische Recht als rezipiert, nachdem es in Italien und bei uns
weiter umgeschmolzen und geläutert war. Es hat uns griechische Rechtsgedanken gebracht und
durch seine oben angedeuteten großen Ideen selbständig gefördert, aber auch mit der Ver-
schwommenheit seiner Billigkeitssuche, seiner lehrhaften Scholastik und der Brüchigkeit seiner
1 Diese schon länger angebahnte Erkenntnis haben doch erst jüngst die Studien von Longo,
Studi Scialoja 1 (1905) 607; Bull. 17, 34, über die „natura actionis“ und von Rotondi, Bull.
24, 1 über die „natura contractus“, zwei Haupthebel der Byzantiner, vollendet. Dazu auch
Collinet, La „natura actionis“, Lille 1909; Etudes bistorique sur le droit de Justinien, 1
(1912), 192.
1 Ulp. D. 1, 1, 1, 2. Ferrini, Pand. 14; Enneccerus, Lehrb. d. bürg. Rechts,
Allg. Teil 3 31, N. 3.