Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

406 Ernst Rabel. 
mosaikartigen Zusammensetzung geschädigt. Auf uns gewirkt hat am meisten doch, was die 
Kompilationskommissionen Justinians aus den Resten der alten Literatur gewannen. Und was 
noch die neueste Epoche dazu von dem klassischen Gut an den Tag bringt, mutet zwar oft 
etwas altertümlich und befremdlich an, bietet aber so viel Reiz und Wert einer künstlerischen 
Rechtsarchitektur, so viele Anschauungen auch, zu welchen aus juristischem Bedürfnis schon un- 
bewußt das neueste Recht zurückgekehrt ist, daß die in den letzten Dezennien mit Vorliebe 
gepflegte Erforschung des klassischen Rechts ihren zeitlichen Vorzug vor der Wiederherstellung 
des byzantinischen unschwer rechtfertigt. 
§3. Typen. Die Geschäftstypen entstehen und vermehren sich langsam. Anfangs genügen einige 
wenige Grundformen, die sich im Anschluß an die primitiven Wirtschaftsverhältnisse wie von 
selbst gestalten. Die altrepublikanische Jurisprudenz nimmt sich ihrer an, bearbeitet die Formu- 
lare und spitzt sie zu. Für den Geist der ganzen älteren, in die Kaiserzeit hinein nachwirkende 
Periode charakteristisch ist, wie sie die gegebenen Formulare, nötigenfalls umbildend oder kom- 
binierend, zu ganz neuen Zwecken verwendet („nachgeformte Rechtsgeschäfte'"1); fast nur in solch 
denaturierten Abarten leben die alten Formalgeschäfte noch im Prinzipat weiter. So finden 
wir von den der Zeit des Barrengeldes entstammenden gesta per aes et libram fast? aus- 
schließlich diese „imaginären“ Gestaltungen, insbesondere aber von der Manzipation eine Fülle 
der typischen Anwendungen mit veränderter Zweckbestimmung. Die manecipatio ist einmal 
ein Barkauf vor Zeugen gewesen und noch die Form, die uns Gaius 1, 119 schildert, gibt 
davon beredte Kunde, wenngleich sie wahrscheinlich wichtige Veränderungen durchgemacht 
hat. Der Erwerber ergreift die Sache und eignet sie sich in Anwesenheit des Veräußerers 
mit solennem Spruch an: huno ego hominem ex iure Cuiritium meum esse aio isque 
mihi emptus esto hoc aere aeneaque libra. Er übergibt „an Stelle des Kaufpreises“, d. i. 
an Stelle der Kupferbarren, die einst zugewogen wurden, ein Erzstückchen oder eine kleine 
Münze, nachdem er damit an die Wage geschlagen hat, die der unparteiische Wagemeister 
noch immer hält. Trotzdem die Geberde des Kaufens mit beziehungsreichen Erinnerungen 
bestehen bleibt, erfolgt dadurch unseres Wissens niemals im Prinzipat mehr ein Kaufabschluß, 
der vielmehr durch formlose Einigung zustande kommt. Unabhängsg vom ursprünglichen Zweck 
der solennen Handlung ist es lediglich auf ihre altgewohnte Fähigkeit abgesehen, die manzi- 
pablen Gegenstände — Personen, Sachen, Rechte, die den Hauptbestand des alten Hauses 
bildeten — zu veräußern. So dient die Manzipation teils für sich allein, teils in Verbindung 
mit anderen Kombinationselementen als Eigentumsübertragung von res mancipi zum Zweck 
des schon perfekten und nur zu vollziehenden Verraufs oder als Schenkungsvollzug u. dgl., 
sodann als Hingabe von Sklaven und Hauskindern wegen Delikts (noxae deditio), als 
Sicherungsübereignung, Testament; sie ist Eheschließung in der coemptio und auch dem 
zweiten Zweck entfremdet als Coemptio kiduciaria, z. B. zur Befreiung vom Geschlechts- 
vormund; und sie ist Bestandteil der Emanzipation und Adoption. Ganz entsprechend sehen 
wir andere alte Rituale benutzen, das solvere per aes et libram als Tilgung von Urteils= und 
Vermächtnisforderungen? und die haftunglösende Quittungsstipulation (acceptilatio) nur in 
der neueren Zweckbestimmung als zahlungslosen Erlaß. Von Haus aus künstliche Verwendung 
gerichtlicher Vorgänge " ist die Iniurecessio, die als manumissio vindicta Freilassung bewirkt, 
zur Abtretung der gesetzlichen Vormundschaft und des gesetzlichen Erbrechts, zur Begründung 
der städtischen Dienstbarkeiten und des Nießbrauchs benützt, theoretisch auch zur Übereignung 
aller Sachen tauglich erklärt wird. 
i Rabel, ZSavöt. 27, 290; 28, 311. 
: Uber das dependere bes sponsor ex lege Publilia Eisele, Beitr. z. röm. Rechtsgeschichte 
30, N. 15; Stud. z. röm. RGesch. 23 f.; Seckel= Kübler zu Gati. 3, 127. 
* Uber die zweifellos historischen Gründe dieser Zusammenstellung s. nach vielen früheren 
neue Vermutungen bei Mitteis, P. 1, 274; Marchi, Storia e conc. dell’ obbl. 
40—68 
* Über das Nähere der Konstruktion sehr verschiedene Ansichten: Wlassak, ZSavst. 
28, 75; Mitteis, Priv R. 276; Rabel, 8Savöt. 27, 309; Esmein, Mélanges Gérardin 
239; Gradenwit, Mölanges Girard 1, 521; Kniep, Gai. Inst. 2 (1912) 129. — Juristisch 
unhaltbar Beseler, Beiträge zur Kritik der röm. Rechtsquellen 2 (1911) 149.
	        
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