Grundzüge des römischen Privatrechts. 411
im ganzen das Bürgertum gehört. Da sowohl dieses als die in der Keiserzeit rechtlich ge-
sicherte Stellung der nicht mit Bürgerrecht begabten Reichsangehörigen selbstverständlich die
Freiheit voraussetzt, so darf man heutzutage den Status libertatis und den Status civitatis
mit Fug als „Stufen“ der Rechtsfähigkeit ansprechen.
Spricht man noch von einer dritten „Stufe“, dem Status familiae, so darf dies nur be-
sagen, daß die Stellung in der Familie als Haupt oder als Gewaltunterworfener noch in der
klassischen Zeit für die rechtliche Lage eines Bürgers von entscheidender Bedeutung ist. Dagegen
ist es eine unerweisliche Behauptung, daß jemals der Familienvorstand der Chef einer politischen
Gruppe gewesen seiz; es ist auch schwerlich ein römischer Gedanke, daß seine Stellung eine Er-
höhung gegenüber dem Status civitatis bilde. Wir sehen vielmehr nur soviel: Einerseits
erscheinen als Gründe des Rechtsfähigkeitsverlustes (capitis deminutio), zusammengestellt mit
der Einbuße der Freiheit oder des Bürgerrechts, sicher schon zur Zeit Ciceros die Hingabe eines
Hauskindes in fremde Gewalt und mindestens später andere Fälle des Familienwechsels 1.
Andererseits genießen die gewaltunterworfenen Freien nicht die Vermögensfähigkeit, aber
dies ist nur ein Reflex der neben sich keine Privatrechte duldenden Hausgewalt.
üÜber cives, Latini und peregrini, ist oben (Lenel, §F 18, 32) schon gesprochen. In
das Privatrecht gehört auch nicht der Erwerb und Verlust des Bürgerrechtes, wohl aber das
Sklaven= und Patronatsrecht.
§ 8. Rechtlich bedeutsame persönliche Umstände. Außer den drei Status haben die Römer
keinen der Rechts- oder Handlungsfähigkeit entsprechenden Begriff. Dazu hat offenbar bei-
getragen, daß die Vormundschaften über Unmündige und Frauen sowie die Pflegschaften über
Wahnsinnige und Verschwender erst allmählich aus Herrschaftsrechten Schutzgewalten ge-
worden sind. Widerspruchsvoll gestaltet sich in der Tat die Stellung der Frau2. Die Frau
nimmt natürlich keinen Anteil an den Arrogationen und Testamenten in Versammlungen des
Römewolks, kann aber auch niemals Hausvorstand oder Vormünderin sein, solenne Zeugin
oder Prozeßführerin für andere, und eine Fortführung dieses Gedankens, der sie in die engste
Sphäre verweist, ist die „Wohltat“, daß sie nach dem SC. Vellaeanum (46 n. Chr.) nicht zu-
gunsten anderer rechtsgeschäftlich eintreten darfs. Für sich selbst war die nicht unter väter-
licher oder Ehegewalt stehende Frau bis in das entwickelte Recht hinein durch Vormundschaft
lebenslänglich beschränkt, die gewaltunterworfene ist nicht einmal wie der Haussohn ver-
pflichtungsfähig. Dazu treten noch gewisse Einengungen im Erbrecht. Es ist ein Gemein-
platz bis ins 3. Jahrhundert: das weibliche Geschlecht ist schwach und in Vermögensdingen
leichtsinnig (Ulp. 11, 1 u. ö.; dag. Gai. 1, 190). Aber die neuere Ehe läßt die Frau selbständig
gegenüber dem Mann, die Frauentutel ist praktisch überwunden, indem die Verwandtenvogt-
schaft aufgehoben (Gai. 1, 157) und die sonstige rein nominell ist. Uber die Vormünder der
Kinder wird ihr die Aufsicht ermöglicht, das Erbeinsetzungsverbot der Lex Voconia fällt dahin,
nur enthalten hinwieder Testiersitte und Gerichtsgebrauch bisweilen recht Abträgliches für sie".
Bei Unmündigen, Geisteskranken und Verschwendern denkt das klassische Privatrecht
wohl nur noch an Beschränkungen der Geschäfts- und Delikts-, nicht der Rechtsfähigkeit. Gegen
die Standesunterschiede ist es grundsätzlich ebenso gleichgültig wie gegen die Religionsver-
schiedenheit. Ausnahmen in der ersteren Beziehung sind besonders durch die alte Sonderheit
der Freigelassenen, die kaiserliche Ehegesetzgebung und die aus allen römischen Prinzipien
herausfallenden Privilegien der Soldaten bewirkt. Kein Staat aber vor dem 19. Jahrhundert
hat im entferntesten so wie der Prinzipat die Rechtsgleichheit der Bürger und in allen wesent-
lichen Punkten des Vermögensrechts auch der Nichtbürger im Reich verwirklicht.
1 Zur Adoption Cic. Top. 6, 29. Andere Fälle: schon Cic. Top. 4, 18 (abweichend Desser-
teanux in der unten S. 422 N. 6 ang. Schrift); Gai. 1, 162; 4. 38; Paul. D. 4, 5, 11.
: Im allg. P. Gide, Etude sur la condition privée de la femme (Esmein) 1885. Z
* Der Prätor hatte wohl nach dem SC. die Klage zu denegieren (Z Sav St. 32, 421); wir
sehen ihn eher eine exceptio in die Formel einschalten, aber dies von Amts wegen. Graden-
witg, Ungültigkeit der obl. Rechtsg. 74. 328; Mitteis, PK. 245; F. Hellmann, Terminol.
Untersuchungen 199.
*" v. Woeß, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter (1911) 81.