Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

Grundzüge des römischen Privatrechts. 423 
ob er jetzt als Bürger gestorben wäre; die Klassiker ziehen dies mehr und mehr (vgl. Gai. 1, 129) 
dahin, daß er als schon beim Freiheitsverlust gestorben gelte und gelangen so zu einer Rück- 
ziehung auch der Nichtwiederkehr (z. B. Jul. D. 49, 15, 22, 2). Noch viel mehr Unhaltbares 
würde das Erlöschen der Schulden des capite minutus ergeben, griffe nicht der Prätor ein; 
er gibt aus Kontraktsschulden von Eigenberechtigten, die in eine Gewalt gekommen sind 
(Manusehe, Arrogation), dem Gläubiger Restitutio in integrum und danach eine Klage, gegen 
die der neue Gewalthaber die Beklagtenrolle übernehmen muß, wenn er die Beschlagnahme 
des Vermögens hindern will1. In anderen Fällen ahmt dies die Praxis nach?2. Besonders 
steht es mit der Emanzipation des Haussohnes; da er schon bei währender Gewalt verpflichtungs- 
fähig war, ist jetzt die Zwangsvollstreckung gegen ihn frei; der Prätor beschränkt seine Haftung 
durch die Rechtswohltat des Notbedarfs3. 
§ 21. Ehrenminderung. Die „magna“ cap. deminutio enthält eine Aufzehrung der bürger- 
lichen Ehre; ihr wird die bloße Schmälerung gegenübergesetzt (Call. D. 50, 13, 5, 2). Der 
wichtigste Fall der Spätzeit ist die inkamia (ignominia), wegen deren das prätorische Edikt 
zahlreichen Kategorien von Bemakelten das Antragstellen nur für bestimmte nahestehende 
Personen erlaubt und verbietet, Kognitoren zu bestellen oder als solche bestellt zu werden. 
Zum Teil knüpft sich die Infamie an die Verübung von Handlungen, z. B. schimpfliche Heeres- 
entlassung, Bigamie, Auftreten als Schauspieler („infamia immediata“ der Glossatoren), zum 
Teil an die Verurteilung und bisweilen die vergleichsweise Abfindung (Ulp. D. 3, 2, 6, 3), 
wegen bestimmter5 entehrender Vermögensschädigungen („infamia mediata“). 
Im Gegensatz hierzu nach Voraussetzungen und im allgemeinen nach den Wirkungen 
nicht festgelegt ist die turpitudo; nicht vertrauenswürdige Personen werden beim Zeugnis 
und bei der Vormundsbestellung zurückgestellt; doch ist diese „Verächtlichkeit“ (Sohm) rechtliches 
Tatbestanderfordernis des Augusteischen Eheverbots für Freie (Ulp. 16, 2) — nicht oder nicht 
sicher auch der querela inokficiosi testamenti. « 
§ 22. Die Bevormundeten". Hier ist nur von Gewaltfreien die Rede. Denn die patria 
potestas hat nichts von einer gesetzlichen Vertretung an sich. 
Die drei Arten von Vormündern, die wir im Prinzipat nebeneinander finden, repräsen- 
tieren drei Stadien umwälzender Verän derungen. Die gesetzliche Vormundschaft (tutela 
legitima) des nächsten Agnaten und des Patrons über Unmündige und Frauen, die nach dem 
Tode des Hausvaters ohne weiteres eingreift, ist das einstige Herrenrecht des Erbanwärters, 
seinem eventuellen Erbrecht und einstweilen seinem eigennützigen Vermögensgenuß dienend; 
die testamentarische (dativa), auf der souveränen Verfügungsmacht des Hausvaters? über Frau 
1 Lenel, Ed. 5 42. Vermutungen über die Vorgeschichte des Edikts: Desserteaurz, 
Nouv. rev. 1912 Juli-Aug. 
* Nämlich nach Versklavung und wohl auch bei Verlust des Bürgerrechts, insofern das Ver- 
mögen erhalten blieb (vgl. Paul. D. 4, 5, 7, 3) ao. utilis „gegen diejenigen, an die das Vermögen 
des minutus gelangt ist“ (Ulp. u. Paul. D. 4, 5, 2 pr.; 7, 2) mit Reszission (Le#nel, anders Girard, 
Manuel 197). Inwiefern die Vermögenskonfiskation, die dem Freiheitsverlust durch Kapital- 
strafen folgt oder die die Deportation und Relegation begleitende noch zur klassischen Zeit zu einer 
beschränkten Haftung des Staats geführt hat, scheint nicht sicher; deutlich ist wohl nur Philipp. 
C. 9, 49, 5 (Pap. D. 48, 20, 4 itp. u. D. 15, 2, 1, 4 gehören nicht hierher). 
* Lenel, Ed. § 104. Koschaker, Translatio iudicü 178. 
Gal. 4, 182 — D. 3, 2, 1 — Vat. 320 — Vat. 324; Paul. 8. 1, 2, I. — Savigny, 
System 2, 171, 517; Marezoll, über die bürgerliche Ehre 1824; Lenel, ZSavöt. 2, 54; 
Ed. 76, 89, 92; Rotondi, Riv. ital. 51, 137. 
* Nach Macer D. 48, 1, 7 angeblich wegen aller Verurteilungen im öffentlichen 
Strafprozeß; die Stelle erscheint aber verdächtig. 
*Rudorff, Das Recht der Vormundschaft, 3 Bde. 1831—3; Pernice, Lab. 1, 184; 
Z. Sav. St. 5, 256 Karlowa, RR. 2, 269; Costa, Cicerone Fiurecomelto 1, 65. 
[Solazzi, Tutele e curatele, Riv. ital. 53 u. 54, noch unvollendet. (Nachtrag i. d. Korr.) 
7 Daß die Mutter einen Vormund testamentarisch ernenne, ist zunächst selbstverständlich 
ausgeschlossen, s. noch Pap. D. 31, 69, 2, wenn auch der Magistrat die berufene Person üblicher- 
weise bestellt, Nerat. D. 26, 3, 2; P. Teb. 326 a. 266. K. Alex. erlaubt es ihr aber C. 5, 28, 
4, wenn sie den Mündel zum Erben einsetzt, vgl. Mod. D. 26, 2, 4; Peters, ZSavt. 32, 
258. — Üüber Frauen als Vormünder in Agypten Wenger, ZSavt. 28, 305; 29, 474 und 
allgemein im Reich Kübler ebd. 30, 154; 31, 176 (187 über die faktische Verwaltung durch 
Mütter bei den Römern). 
  
 
	        
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