Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

Grundzüge des römischen Privatrechts. 427 
träger, die nicht Einzelmenschen sind, entwickelt. Den aus der alten Gemeinde erwachsenen 
Staat fanden sie in einer ihrem privatrechtlichen Denken entrückten Sphäre fertig vor, die 
städtischen Gemeinden und die privaten Assoziationen standen zur Zeit, als die römische Rechts- 
lehre sich an der Systembildung versuchte, bereits unter dem harten Druck einer engherzigen 
bureaukratischen Regierung, selbständige Stiftungen gab es nicht. Die ungeheure Wirkung 
der Anhäufung beweglichen Kapitals, die der Wirtschaft in der Gegenwart ihren Stempel 
aufdrückt, ist den Alten auch unbekannt gewesen. So fehlte der soziale und ökonomische Trieb, 
das Recht der juristischen Personen nach allen Seiten auszubilden und klarzustellen, vollends 
etwa den schwierigen Fragen ihres Wesens nachzugehen. 
Trotzdem verdanken wir den Römemn die entscheidende Erkenntnis von der Existenz jener 
Rechtsfigur, wo eine Gesamtheit physischer Personen durch ihren Zusammenschluß zu einem 
neuen Inhaber von Rechten und Pflichten aufwächst. Da diese Wahrnehmung sich haupt- 
sächlich den Stadtgemeinden zuwendet und zu einer Zeit, wo der anzunehmende ursprüngliche 
Gedanke der genossenschaftlichen Teilnahme der Bürger an dem Gemeindevermögen erloschen 
ist, so tritt in den Digesten etwas einseitig nur der Gegensatz zwischen der Körperschaft und ihren 
Mitgliedern deutlich hervor; doch gerade darin wird der Trennpunkt der juristischen Person 
von sonstigen gesellschaftlichen Bildungen getroffen. Man betont z. B., daß an den Forde- 
rungen und Schulden der Gemeinde die Mitglieder keinen Teil haben und ihr Bestand derselbe 
bleibt, wenn auch die Mitglieder wechseln (Ulp. D. 3, 4, 7, 1. 2). Die Bürger haben keine 
Befugnis, die Gemeinde prozessualisch zu vertreten oder durch Vertrag zu verpflichten, dies steht 
besonderen Vertretern zu. Durch Delikt von Gemeindegenossen oder Vertretern kann eine 
Haftung der Gemeinde gar nicht herbeigeführt werden: quid enim municipes dolo facere 
possunt? (Ulp. D. 4, 3, 15, 1). Auch das den Koloniebürgern zugeschriebene gemeinsame 
Wald- und Weideland dürfen sie nur noch auf Widerruf nutzen 1. 
Aus diesen, dem dürftigen theoretischen Bestand der Quellen am leichtesten entnehm- 
baren und im Sinn Justinians auf alle Körperschaften verallgemeinerten Sätzen hat die abend- 
ländische Doktrin den Begriff einer universitas gezogen, die den singuli auf das schroffste gegen- 
übersteht; ganz auf sich selbst gestellt ist sie nur noch ein gedachtes Wesen, ein fingiertes Subjekt 
(Sovigny) oder gar ein subjektloses Vermögen (Brinz). 
Darin steckt, wie die neuesten dogmatischen Erörterungen ergeben, eine berechtigte An- 
schauung. Indessen wurde seit Gierke der genossenschaftliche Aufbau der deutschrechtlichen 
Genossenschaft entdeckt: Die Gesamtheit und die einzelnen sind innig verknüpft, die Mitglieder 
genießen das Körperschaftsvermögen mit, ziehen aus seiner Substanz nach der Auflösung der 
Genossenschaft, bisweilen sogar nach Austritt einen Anteil; die „Verbandspersönlichkeit“ lebt 
„real“ durch ihre „Organe“, die Deliktsfähigkeit steht fest. So wird in der Wirksamkeit der 
Körperschaft eine Seite ausgestaltet, mit der sich ihre Selbständigkeit als eigener Rechtsträger 
vereinbart; beide zusammen ergeben ein reiferes Wesen, zumal da jetzt erst die bedeutsame Rolle 
aller juristischen Personen im öffentlichen Recht Beachtung findet. 
Von der Fülle der modernen Gesichtspunkte aus betrachtet bietet aber auch das römische 
Rechtsleben nicht das einfache Bild, das man früher darin zu erkennen glaubte. Es paßt un- 
gefähr auf die italischen Gemeinden der Kaiserzeit, nicht ohne weiteres auf die früheren und nicht 
auf die provinziellen, nicht auf den Staat, der mit der allerschärfsten Trennung von seinen An- 
gehörigen zufolge seiner souveränen UÜberordnung die Fähigkeit verbindet, die Mitglieder zu 
seinen Lasten heranzuziehen, vollends nicht auf die Mannigfaltigkeit der privaten Vereine 2. 
Aus den Inschriften sind Vereine bekannt, wo die Mitglieder Einlagen haben, über die sie in 
einem Beispiel (Bruns, kontes 7 n. 176 l1. 6) durch Legat verfügen können; nach Marcian 
D. 47, 22, 3 pr. steht den Mitgliedern sogar unerlaubter Vereine ein Heimfallsrecht am Ver- 
mögen zu. In den Genossenschaften der Steuerpächter, die wenigstens Gai. D. 3, 4, 1 pr. 
unter die juristischen Personen stellt, ist eine weitreichende Beteiligung der sociü an den Rechten 
der Pachtung sicher und an den Ausfällen glaublich. Über die Frage, ob auch Vereine für die 
Delikte ihrer Vertreter nicht haften, ist nichts bekannt. Im ganzen läßt sich sagen, daß die Römer 
die Selbständigkeit der juristischen Person nach außen verdienstlich herausarbeiten, ohne daraus 
1 Mitteis 342 u. N. 10. 2 Mitteis 345.
	        
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