Gruntzüge des römischen Privatrechts. 45
immer freigesprochen, aber aus der Prozeßkaution haften würde. Dieses eigentümliche System
wird bei Weigerung der Streiteinlassung durch das duci vel ferri iubere und das Interdictum
quem kundum (oben § 29), ferner in mehreren Fällen durch eine zweite Klage auf Herausgabe
vermutlich schuldrechtlicher Natur, die Actio ad exhibendum ergänzt 1.
Die Litiskontestation im Eigentumsprozeß begründet eine Obligation des Beklagten,
die durch den Arbitratus iudicis gesteigert und von den Juristen näher ausgebaut wird, in-
dem zwischen gerechtfertigter Rechtsüberzeugung des Beklagten und seinem schlechten Glauben
analog dem SC. LIuventianum über die Erbschaftsklage des Fiskus (a. 129, D. 5, 3, 20) unter-
schieden wird. Inwieweit die wichtigen Lehren des Corpus iuris über den Ersatz von Früchten
und verschuldeter Sachbeschädigung, andererseits von Verwendungen lassisch sind, ist gegen-
wärtig nur stückweise Uargestellt 2. —
Gegen Anmaßung von Sewituten oder Nießbrauch dienen nur eigens proponierte
Formeln mit der ebenfalls der Legisaktio entstammenden Behauptung, daß der Beklagte das
Recht nicht habe („negatorische“ Klagen ?).
§ 33. Sachbesitz“#. Wenn in Rom und bei uns der bloße tatsächliche Besitzzustand ohne
Rücksicht auf das Recht zum Besitze geschützt wird, so könnte man sehr wohl über die Zweck-
mäßigkeit unserer ganzen Sachenrechtsordnung streiten; nicht zweifelhaft aber sollte sein, daß
das absolute Eigentum den Besitzschutz zur notwendigen Ergänzung braucht, und daß speziell
Rom diesen Schutz als Korrelat der vorgeschrittenen Eigentumsklage entwickelt hat.
Andere Rechte und wohl auch das älteste römische lassen nur ein ungespaltenes und minder
subtiles Besitzrecht (meum esse), zumal ein Recht aus dem älteren Besitz, verfolgen. Das
scheint sogar noch in der Legis actio sacramento in rem durch, und possessio selbst ist ein vager
Ausdruck, wie im heutigen Laiensprachgebrauch der „Besitz“, possessor ist im älteren Sinn der
Besitzberechtigte z. B. am Staatsland S. Wenn aber das nackte Recht durchzusetzen und vom
Kläger zu beweisen ist, so darf dem Friedensstörer nicht der Anreiz gegeben werden, daß er
sich durch Aneignung der Sache die vorteilhafte Beklagtenstellung verschaffe. Dunkel ist frei-
lich die Herkunft des Interdiktenverfahrens, das die Römer zur Besitzverfolgung benützen; es
sieht nicht aus, als ob es seit jeher zur Vorbereitung des dinglichen Prozesses, zur Verteilung
der Parteirollen gedient hätte. Eher wird es vom magistratischen Schutz der nichtzivilen
Besitzrechte herkommen .
1 Hierzu bes. Lenel, Grünhuts Z. 37, 515, jedenfalls mit Recht gegen Beseler,
Beiträge 1, 1; 2, 128; Stin bing in Festschrift für Wach (1913); Maria, Etudes Girard 2,
223. Das Nähere ist noch sehr fraglich. Die Actio ad exhibendum bedarf neuer Untersuchungen
schon u weil die Kompilatoren sie oft zu der Rei vindicatio als Vorbereitung darstellen,
während sie selbständige Funktionen gehabt haben könnte. (Vgl. s 41.) — Sicher ist die Eigen-
tumsklage gegen den (sog. „lüctus“.) possessor, qui ante litem contestatam dolo desüt possi-
dere unb gi liti se obtulit, nachklassisch. Partsch, De Féôdit sur Palienatio ind. mut. causa
kacta 34; Beseler, Beiträge 1, 28; Gradenwitz, Festg. f. Güterbock 305.
2 Für die ganze Lehre einschließlich der Konkurrenz der Rei vindicatio mit persönlichen
Klagen ist von Siber, Die Passivlegitimation bei der Rei vindicatio 1907 ein guter Anfang gemacht.
Lenel, Ed. §5 72, 73. Die von Lenel neuerdings anerkannte Actio prohibitoria ist
zweifelhaft;SB ortolucci, Bull. 21, 116; Segrs, Mél. Girard 1, 522. 564.
. Aus der immensen Literatur (Windscheid-Kipp, P. 75 148 bis 1906) sind für das
klassische Recht bes. zu nennen: Savigny, Das Recht des Besitzes 1 1803 (Rudorff) 1865;
Iherin 7 Über den Grund des Ggicheer 1868; Der Besitzwille 1889; Bekker, Das
Recht des Besitzes 1880; Alibrandi, Teoria del possesso (1871) = Opere 1, 215; Kniep,
Vacua possessio (1885); Graf Pininski, Der Tatbestand des Sachbesitzerwerbs, 2 Bde.
1885,/8; Ubbelohde-Glück, P. 43/44, 5 (1896); Cornil, Traité de la possession 1905;
Sokolowski, Die Philosophie im Privatrecht, Bd. 2, 1907j Riccobono, Bonfante
Gitate in lstit. 332 ff.), Albertario (zuletzt Lo svolgimento dell’ actio communi dividundo
Pavia 1913) vielerorts.
5 Bonfante, Studi Moriani 1, 169 glaubt: „Herrschaft“ wegen des (nicht sicheren) ety-
mologischen Zusammenhanges mit potestas. — Zum meum esse Lit. bei Rabel, Haftung des
Verkäufers 50. 66.
Zuerst bezeugt in der Nachbildung für die völkerrechtliche Schiedsgerichtsbarkeit des Senats,
2. Jahrh. v. Chr., Partsch, Die Schriftformel (1905) 3, vgl. 49. Eine verbreitete Auffassung,
die noch C osta, Storia 241, teilt, leitet die Besitzinterdikte von dem Schutz der Possessores um
Ager publicus ab, Mitteis, PR. 19, von griechischem Einfluß. Noch andere Lit. b. Wind-
scheid= Kipp, 4& 148 N. 5, Ubbelohde-Glück 43/44, 4, 298.
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