Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

40 Ernst Rabel. 
und dem Aufgabeentschluß erlischt (Pap. D. 41, 2, 44, 2; 46, auch Paul. ebd. 1. 3 § 8; anders 
noch Labeo in I. 6, 1). 
g 38. Besitzschutz. Der Eigenbesitzer und wer ihm gleichgestellt ist, erhält die präto- 
rischen Besitzinterdikte unabhängig vom Recht und sogar ohne Rücksicht auf die im Zivilrecht so 
bedeutsame Qualität der Erwerbshandlung, mag er auch Räuber oder Dieb sein, nur nicht im 
Streit mit dem, den er durch Gewalt, Entwendung oder Bruch einer Bittleihe entsetzt hat 1. 
Bei beweglichen Sachen entscheidet aber nicht der augenblickliche Besitzstand, sondern der im 
letzten Jahr länger behauptete, vielleicht weil Sklaven und Tiere zu rasch ihren Aufenthalt 
wechseln, vielleicht aus archaischen Gründen her. Dabei darf laut des Edikts (Lenel, § 264) 
die Besitzzeit des Erblassers und Verkäufers eingerechnet werden („accessio temporis“), was 
die Interpretation schrittweise auf andere Rechtsvorgänge ausdehnt (Gai. 4, 151; Ulp. D. 41 
2, 13, 6—11), ohne doch den modernen Begriff der Rechtsnachfolge aufzustellen. 
g 39. Justa causa. Wo der Eigenbesitz Eigentum zu vemmitteln hat, muß er nach 
römischer Lehre im allgemeinen auf einem gerechten Grund (iusta causa possessionis) be- 
ruhen. Dies wird besonders für die Ersitzung (vol. Pomp. D. 41, 3, 29) entwickelt. Eine 
offenbar langsam entstandene Liste zählt die Rechtfertigungsgründe, „Titel“ auf, angefangen 
vom Kauf (pro emtore, D. 41, 4) bis zum Titel pro suo (D. 41, 10), der einige nicht benannte 
Titel in sich vereinigt. Desgleichen fordert die Tradition und daher auch der publizianische 
Erwerb eine iusta causa (Ulp. 19, 7), bestimmter Art; Fiducia reicht nicht hin 2. Dieses Erfordermis 
hat den Modernen sehr viel Schwierigkeiten verursacht. Sicher ist das Folgende. Überall ist von 
Haus aus gefordert, daß das, was der Titel aussagt, gültig vorliege, z. B. der Kauf, die 
Schenkung, das Vindikationslegat. Daß es etwa ein sittenwidriges Geschäft ist, hindert der 
Regel nach nicht diese Gültigkeit und hemmt daher nicht die Tradition, sondern begründet nur 
eine Schuldklage auf Rückforderung. Andererseits ist die Tradition nichtig, die ein Ehegatte 
schenkungshalber an den anderen vornimmt, weil das Verbot der Schenkung unter Ehegatten 
alle Ausführungshandlungen ohne Unterschied ergreift. Dem Grundsatz widerspricht auch 
nicht eine Meinungsverschiedenheit über den Fall, wo der Geber einer Geldsumme zu schenken, 
der Empfänger Darlehen zu nehmen vermeint; da in dem Mehr das Minder liegt. kann die 
feststehende Ansicht zur Zeit Julians D. 41, 1, 36 a. E., von der nachmals Ulp. D. 12, 1, 18 
abweicht 3, den Eigentumsübergang bejahen: wahrscheinlich übrigens (arg. I. 18) indem man 
dabei Darlehen annimmt und nicht einmal hier eine Tradition ohne Kausa. — Ebenso ist es 
kein wahrer Bruch mit dem Prinzip, sondern eine sinngemäße Ausnahme, daß Ersitzung mög- 
lich ist, wenn ein Ehegatte eine fremde Sache schenkt (Pomp. D. 41, 6, 3; Ter. Cl. D. 24, 1, 25) 
oder ein Vormund vom Mündel eine fremde Sache kauft (Sew. Paul. D. 41, 4, 2, 8, vl. 
Scaev. D. 26, 7, 56); hier macht zwar das gesetzliche Verbot auch das obligatorische Geschäft 
nichtig, aber es ist zugunsten des Ehegatten und des Mündels erlassen, nicht des Eigentümers “. 
Die moderne Unsicherheit wird aber am meisten durch die Sonderart der einzelnen Causae 
possessionis heworgerufen, die in der Kompilation verwischt erscheint. Am besten dürfte in 
den Quellen wahrzunehmen sein, daß der Vollzug des Kaufes der Erfüllung einer Stipu- 
lation entgegengesetzt ist. In Nachwirkung des Bargeschäftssystems denkt man Kauf und 
Ubergabe der Ware als eine untrennbare Aufeinanderfolge; der Käufer erhält den Besitz pro 
emtore; der unmittelbare Erwerb des Eigentums durch Tradition (Paul. D. 41, 1, 31) oder 
der t spaiere durch Ersitzung (Afr. D. 41, 4, 11) setzen daher voraus, daß der Kauf gültig besteht. 
1 Daß infolge der „Clausula vitü — nec clam nec vi nec precario alter ab altero — wirk- 
lich der fehlerhafte Besitzer verurteilt wurde, ergibt sich gegen Ferrini, Pand. 341, aus Ulp. 
D. 41, 2, 6, 1 retinet ergo possessionem u. a. vgl. Lenel, Ed. 453 N. 3. 
3 Paul. D. 41, 1, 31 pr.; Lenel, ZSavt. 3, 114. 
2 Der Gedankengang der I. 36 ergibt sich aus der Beziehung des ersten Satzes auf Manzi- 
pation, Lenel, ZSavSt. 3, 178; Ed. § 107, Strohal, IJh . 27, 364; Klingmüller, 
Begriff des Rechtsgrundes 90 N. 1. Dagegen zu Unrecht Eisele, IhJ. 23, 6; Siber in 
Leipz. Festschr. für Sohm (1914) 17 Note. In I. 18 ist zu beachten die m. E. zweifellose Inter- 
polation im pr. i. f., Ulp. schloß wohl: condictione tenetur; und in §& 1 i. f. sed — erit, was mit der 
byzantinischen Theorie der Konsumption zusammenhängt. 
Adler, Ih . 33, 184; vgl. Last, Ih J. 62, 278.
	        
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