Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

J. Kohler, Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte. 41 
Bürgen an der Seite des Schuldners; dies reicht noch in spätere Zeit hinein: noch nach römischem 
Recht wurde der Bürge befreit, wenn man den Schuldner verklagte, und umgekehrt: das Pro- 
blem der doppelten Schuld für denselben Schuldinhalt ist der früheren Zeit zu schwer. Späterhin 
entwickelte sich die Sache häufig wie folgt: Der Schuldner wurde ursprünglich durch den Bürgen 
befreit; da aber die Haftung des Bürgen eine persönliche war und mit seinem Tode erlosch, so 
ließ man den ursprünglichen Schuldner in der Art weiterhaften, daß er in solchem Fall einen 
neuen Bürgen stellen mußte. Diese Haftung erweiterte man in der Art, daß er einstehen mußte, 
wenn der Bürge nicht zahlen konnte, und so kam man allmählich auf eine Gesamthaftung beider, 
die aber, wie im römischen Recht, gewisse Schranken hatte. Erst eine spätere Entwicklung kehrt 
die Sache um und macht die Haftung des Bürgen zu einer aushilfsweisen, indem sie dem Bürgen 
die Einrede der Vorausklagung gibt. 
Von besonderem Interesse ist das Verhältnis des Bürgen zum Hauptschuldner: der Haupt- 
schuldner ist ursprünglich dem Gläubiger gegenüber frei; aber es ist seine Treupflicht gegen- 
über dem Bürgen, ihn auszulösen. Tut er dies nicht und kommt die Haftung des Bürgen zur 
Geltung, so hat dieser einen gesteigerten Rückgriff gegen den Schuldner, oft strafweise zum 
doppelten erhöht. 
§ 33. Soziale Betätigungen des Schuldrechts. 
a) Allgemeines. 
Das Schuldrecht soll die Güterwelt so gestalten, daß daraus der größtmögliche 
Segen für die Menschheit hervorgeht. Dies verlangt vielfach den Ubergang der Güter vom einen 
zum anderen Vermögen, es verlangt die Zusammenlegung von Gütern zur Erreichung eines 
gemeinsamen Zweckes. Im ersten Fall wechselt das Gut den Herrn, im letzteren wird es zwei 
Herren dienstbar. Der Ubergang des Gutes kann wieder ein endgültiger oder ein zeitweiser 
sein; so einerseits die Austauschgeschäfte, anderseits das Darlehen. 
Weniger bedeutsam sind die nicht-wirtschaftlichen Betätigungen des Schuldrechts, wo- 
von S. 46 zu handeln ist. 
Die Betätigungen des Schuldrechts entwickeln sich am mannigfaltigsten in der Frei- 
heit des wirtschaftlichen Verkehrs. Dieser wird allerdings lange Zeit durch 
genossenschaftliche Bildungen und durch Eingriffe von Staats halben beschränkt. Auch hier 
ist noch der Trieb der Allgemeinheit stärker als die Spannkraft der Einzelperson: Zunft, Kaste, 
Monopol beschränken die Freiheit des Einzelnen. Allmählich ringt er sich hervor, und die 
Schranken brechen. Sie waren jahrhundertelang heilsam, solange die Nation noch nicht die 
nötige Reife erworben hatte. Auch noch in der ersten Zeit der Entfesselung der wirtschaftlichen 
Mächte zeigen sich neben einer großen Fortschrittsentwicklung schwere Schattenseiten. Der 
Wettbewerb wird zum Kampf, und zu einem Kampf, der nicht immer ehrlich geführt wird. 
Die ehemaligen Schutzmittel sind gebrochen; jetzt muß die Rechtsordnung als eine neue 
Macht erstehen, um die Auswüchse zu beseitigen und die ethische Kraft des Menschen zu 
schirmen. 
Aber wieder andere Erscheinungen bilden sich: die Einzelnen schließen sich als Wettbewerb- 
genossenschaften aneinander an, und es erstehen die Wettbewerbskartelle, und diese werden 
wieder zu gemeinsamen, einheitlich organisierten, weit verzweigten Produktionsanstalten, die 
tatsächlich den Verkehr beherrschen, jeden Wettbewerb niederschlagend. Auch hier hat die Rechts- 
ordnung ihre Aufgabe; sie hat die Gesellschaftsbildung zu überwachen und ihr entgegenzutreten, 
wo sie verderblich wird, sie hat den Einzelnen gegen die Schlinge, die er sich selbst um den 
Hals legt, zu schützen, indem sie solche Kartellverbände für rechtlich unwirksam oder, wenn wirksam, 
für frei kündbar erklärt 1. 
Alüberall ergeben sich für die Rechtsordnung schwierige Aufgaben, die nur der versteht, 
der das Recht von höherer Warte aus erschaut. 
1 Uber die jüngsten Trustentscheidungen in den Vereinigten Staaten vgl. meine Abhandl. 
in der Monatsschrift f. Handelsrecht XIII, S. 210. XX S. 285.
	        
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