Grundzüge des römsschen Privatrechts. 449
Die Lehren für die einzelnen Arten werden getrennt vorgetragen, manche Sätze dabei
aber in einem solchen Ton von Allgemeingültigkeit vorgetragen, daß sie für größere Gruppen
in Anspruch genommen werden dürfen, wenn nicht für alle Sewituten. So ist es bei aller
Rücksicht auf Justinianische Verallgemeinerungen keinesfalls den Klassikern innerlich fremd,
wenn die Gemeinrechtler (nebst den schon im vorigen Paragraphen erwähnten Regeln) für alle
Grunddienstbarkeiten folgendes verlangen: 1. Nützlichkeit des Rechts für das herrschende Grund-
stück (Nerat.-Ulp. D. 8, 3, 5), nicht bloß für den einzelnen Herrn, wobei Annehmlichkeiten wie
Obstpflücken oder Spazierengehen noch nicht hinreichen (Paul. D. 8, 1, 8 pr.); 2. offenbar als
Folge hiewon, eine gewisse Nachbarschaft der Grundstücke (Ulp. I. 5 cit.); 3. daß die Sewitut
dem dauernden Bedürfnis dauernd genügen könne, obgleich die Klassiker hieraus allerdings
nur bei den Rechten auf Wasserablauf und an der Quelle folgern, das Wasser müsse natürlichen
Ursprung haben und periodisch wiederkehren (perpetus causa) (Paul. D. 8, 2, 28; Ulp. D. 43,
22, 1, 41). Endlich ist es 4. unmöglich, die Dienstbarkeit vom herrschenden Grundstück abzu-
lösen (Paul. D. 8, 4, 12; Ulp. D. 19, 2, 44), oder sie zu teilen, z. B. bei körperlicher Teilung
des herrschenden oder dienenden Grundstücks (Paul. D. 8, 3, 23, 3; 8, 1, 8, 1; Ulp. D.
8, 4, 6, 1).
Insoweit damit die Zulassung der Dienstbarkeiten beschränkt wird, ist der Grund durch-
sichtig. Dauernde Bodenbelastung soll nur stattfinden, wo das herrschende Grundstück für sich
allein seine Lebensbedürfnisse nicht befriedigen, das dienende ihnen ohne wesentliche Be-
einträchtigung seines eigenen Betriebes genügen kann 2. Diesem Postulat entsprechend sind
auch Bestellungsverträge so auszulegen, daß der Eigentümer tunlichste Schonung findet (Cels.
D. 8, 1, 9 u. a.).
g 49. Entstehung und Ende. Bei der Bestellung von Sewituten äußert sich das höhere
Alter der ländlichen, indem sie noch in die Liste der res mancipi gelangt waren (Gai. 2, 29).
Allen ist die Iniurecessio zugänglich, die Zurückhaltung bei der Manzipation (Paul. Vat. 51)
des zu belastenden Grundstücks (deductio), Teilungsurteil und Legat. Durch formlosen Ver-
trag entsteht in Rom keine Sewitut, auch keine prätorisch beachtete. Im provinziellen Verkehr
werden die seit vorrömischer Zeit üblichen Verträge zum Gebrauch der Römer einfach mit
Stipulation bekräftigt (pactiones et stipulationes) und dann als dinglich anerkannt (Gai. 2, 31).
Die Tradition des Quasibesitzes, von der noch das Preußische Landrecht weiß, haben erst die
Nachklassiker erfunden (D. 8, 1, 20 a. E. itp.3).
Entstehung von Sewituten durch Ersitzung ist durch eine Lex Scribonia abgeschafft,
rätselhaft, da sie fast ebenso nötig scheint wie die Eigentumsersitzung. Für Wasserleitung und
Schöpfrecht besteht aber eine ausnahmsweise zweijährige Rückersitzung desjenigen, der durch
Zeitablauf das Recht verlor (Paul. S. 1, 17, 2); für den Aquaedukt ist zugleich bezeugt, daß
die lange Ausübung magistratisch wie eine richtige Bestellung behandelt wird (Pomp. D. 43,
20, 3, 4; Scaev. D. 39, 3, 26). Darüber hinaus muß es zur Severenzeit Actiones utiles ge-
geben haben, die einen Anfang zur späteren byzantinischen Ersitzung boten #. Dagegen steht
der Untergang durch zweijährigen Nichtgebrauch fest (Paul. 8. 1, 17, 1); bei städtischen
erfolgt er erst, nachdem eine Zuwiderhandlung gegen das Recht dessen Ausübung unmöglich
gemacht hat, durch Ersitzung der Freiheit (Gai. D. 8, 2, 6); was freilich mehr auf die unter den
Urbanalsewituten häufigen Verbotsrechte gemünzt scheint.
1 Verwandt für den aquseductus Ulp. D. 43, 20, 1, 5: aqua perennis. — Perozzi,
Riv. ital. 14, 1756; Ferrinil, Arch. giur. 50, 388; Bragisl#n 8, 55.
„ Kohler, Archgiv Prax. 87, 179, 233.
2 Lit. Perozzi, Riv. ital. 23 (1897) 1 u. 167; Rabel, Haftung des Verkäufers 1 (1902)
62; Mél. Girard 2, 387; H. Krüger, Die prätorische Servitut (1911); Collinet, Etudes
historiques 1 (1912) 161; Peters, 3Savt. 32, 595; Albertario, Filangieri 1912;
Berger, Grünhuts Z. 40, 299. Auch die von romanischen Schriftstellern ins Altertum zurück-
verlegte destination du pere de famille (Code civil franc. 693) ist weder klassisch (Kiccobono,
Riv. ital. 21, 380), noch von Just. als besondere Bestellungsart gemeint. Vgl. D. 8, 5, 20 pr.
1; 8, 2, 41 pr.; 33, 2, 15, 1.
4* Rabel (mit Partsch), Mél. Girard 2, 409—412. Über D. 39, 3, 1, 23 Peters,
ZSavöSt. 33, 598.
Enzoklopäole der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band I. 29