Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

450 Ernst Rabel. 
§ 50. Der Nießbrauch 1, ususfructus, entstand als letztwilliges Vermächtnis zur Ver- 
sorgung einzelner Familienmitglieder, besonders der Witwe, ist aber den Juristen längst auch 
als Wertteilung unter Lebenden bekannt. Es ist das Recht an einer fruchttragenden Sache auf 
Fruchtziehung. Noch herrscht aber das Prinzip, daß das Maß der Früchte durch die Gewohn- 
heiten des das Recht bestellenden Hausvaters beschränkt sei 2, und wird nur durch das billige 
Ermessen berichtigt. Um dieses problematische Recht zu einem lus kundi zu machen, bedient 
man sich gern der Betrachtung, es sei ein Ausschnitt aus dem Eigentum, eine Pars domini; 
das gilt „in multis casibus“ (Paul.? D. 7, 1, 4), nicht immer (Pap. D. 7, 1, 33, 1). Sein 
Klagenschutz wird allmählich verbessert. „Besitzer“ ist der Nießbraucher nicht, er erwirbt daher 
nicht durch den Nießbrauchssklaven, ist nie „deiectus“, sondern nur expulsus“, genießt aber 
in der Severenzeit die possessorischen Interdikte wegen Entziehung der Sache als utilia (Vat. 
90, 91). Seine alte Klage aus dem Recht, Vindicatio ususkructus, gegen den „Dominus“ 
kundi wird gegen Interdiktenbesitzer des belasteten Grundstückes zugelassen und er kann damit 
auch dem dominus zustehende Sewituten verfolgen (Jul. Ulp. D. 7, 6, 5, 1). Allgemein gegen 
jeden Dritten geht sie nicht, auch scheinen ihm die dem Eigentümer oder Eigenbesitzer zustehen- 
den Klagen aus Nachbarrecht oder Deliktsrecht noch verschlossen zu sein. Trotzdem ist es bereits 
ein wahres dingliches Recht Cels. D. 7, 1, 2 jus in corpore 3), nur kein so abgerundetes absolutes, 
wie es die nachklassische Praxis schuf und unter die neue Kategorie der „Servitutes personales“ 
brachte 4. 
Auf der andern Seite entwickeln sich die Verpflichtungen des Nießbrauchers gegenüber 
dem Eigentümer 5, die heute als gesetzliche gelten. Dafür gibt der Prätor außer den allge- 
meinen Rechtsbehelfen für Eigentümer eine Schadensersatzklage wegen einzelner schädlicher 
Unterlassungen (bes. Jul.-Ulp. D. 7, 1, 13, 2) und fordert schließlich das Stipulationsversprechen. 
(D. 7, 9), ehe der Usufruktuar die Sache empfängt, daß er die Sache billigem Ermessen gemäß 
benutzen und nach Erlöschen seines Rechts zurückstellen werde. Wer ohne Cautio usufructuaria 
ausliefert, kann die Sache mit rei vindicatio zurückverlangen 2. Daher ist wiederum uner- 
findlich', warum nicht schon Paulus in D. 7, 1, 1 definieren dürfte: Der Nießbrauch ist das 
Recht des Fruchtgenusses an fremden Sachen unbeschadet ihrer Substanz. 
§ 51. Uneigentlicher Nießbrauchs. Aus Anlaß der häufigen Legate des Nießbrauchs 
an ganzen Vermögen anerkannte zu Beginn der Kaiserzeit ein Senatuskonsult, daß alle Sachen 
(omnia quae in bonis sunt), auch nicht fruchttragende, taugliche Gegenstände bilden; verbrauch- 
bare Sachen fallen ins Eigentum des Nießbrauchers gegen die Kaution, daß er dieselbe Quan- 
tität zurückgeben werde (Ulp. 24, 27) oder was man vorzog, den Übernahmewert ersetzen werde 
(Gai. D. 7, 5, 7). Auch Forderungen läßt die herrschend gewordene Meinung als Obiekt zu 
(D. 7, 5, 3). 
§ 52. Entstehung und Untergang. Die normale Bestellungsart waren Legat und 
Iniurecessio, auch deductio, in den Provinzen Pactiones et stipulationes. Für den Nieß- 
brauch ist es aber viel wahrscheinlicher als für die Sewituten, daß in öfteren Fällen der Prätor 
auf formlos eingeräumte Ausübung eine Vindicatio utilis gewährte. Ein sicherer derartiger 
1 Venezian, Dell usufrutto, dell’ uso e dell’ abitazione 1, Nap. 1895; Pampaloni, 
Bull. 22, 100; Arangio-Ruiz, Arch. giur. 81, 428; Riccobono, Studi Brugi Lezioni 
(s. Zanzucchi, Z Sav St. 30, 509); Z SavSt. 31, 343—5; Albertario, Rend. Ist. Lomb. 45, 
465; Segré, Mél. Girard 2, 679. 
: Ulp. Vat. 70 (neu rekonstruiert von Riccobono, St. Brugi); 71; D. 7, 1, 15, 5. 
2 Neuerdings vielfach bestritten. Riüccobono behauptet sogar, der klass. Ususfrukt beziehe 
sich nur auf die Früchte, nicht auf die Sache. Aber D. 7, 8, 23; 7, 1, 34, 2 haben damit nichts 
zu tun. Vgl. Arangio-Ruiz 437 N. 1. 
Longo, Bull. 11, 281, dem die meisten folgen; dagegen Costa, Storia 271 N. 2 (gegen 
welchen Albertario, Riw. ital. 50, 89) und Debray, Nouv. rev. 1910, 107 (gegen besen 
Auslegung von D. 8, 2, 5 man bereits Lenel, Ed. 186 N. 7 vergleichen kann). 
5 De Ruggiero, St. Scialoja 1, 71; Bortolucci, Bull. 21, 110. 
" Proc. Ulp. D. 7, 9, 7 pr.; das Verlangen der Kaution mit condictio ist itp., Lenel, 
Paling., Ulp. 2591. Weiteres mit Lit. bei De Francisci 20 Maypa 333. 
7 Abw. Di Marzo, St. Fadda 1, 141. 
* Hanausek, Die Lehre vom uneig. Nießbrauch 1879; Pbampaloni, Bull. 19, 95.
	        
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