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famie, die weder alle noch nur die Deliktsklagen auszeichnet, in der Kaiserzeit nach der all-
mählichen Abmilderung der Rache in erster Reihe auf Geldleistungen richten. Die ganze Ent-
wicklung ist in der modernen Romanistik folgerichtig (unten § 78), aber mit beklagenswerter
Konsequenz so weit getrieben worden, daß die zivilrechtliche Folge der unerlaubten Handlungen
völlig zu einem Ersatz des Vermögensschadens zusammenschrumpfte. Das BGB. (§ 253) hat
bloß dürftige Ausnahmen, lediglich in Spezialgebieten wird diese Engherzigkeit durch die Zu-
billigung von Bußen korrigiert. Der eigentliche dogmatische Gedanke der Klassiker dürfte aber
gerade noch der Buße entsprechen, soweit er sich von der historischen Bedingtheit lösen läßt.
Die Juristen leben ja noch in den Resten des Racherechts, wo z. B. mehrere Klagen (z. B. actio
furti und vi bonorum raptorum) auf ein Vielfaches des Sachwerts gehen und dabei die Sach-
verfolgung übrig lassen, der Hausvater berechtigt ist, Kinder, Sklaven und vierfüßige Haustiere
zur Abfindung des Verletzten herauszugeben (Noxalhaftung) uff., vollends manche Klagen
geradezu eine einzeln abzuwägende Geldgenugtuung auch für unschätzbaren Schaden bezwecken
(ao. iniuriarum, sepulchri violati, int. duod vi aut clam u. a.). Vergeltung und Vermögens-
ersatz mischt sich in dem Geldbetrag, der gefordert werden kann, in verschiedenen Dosen; aber er
ist dort, wo der Klassiker noch eine Deliktsklage vor sich sieht, immer poena (ursprünglich Sühn-
geld). Zwar ist die Idee des reinen Ersatzes im Gegensatz zur Strafe den Römern keineswegs
fremd; die persönlichen Zivilklagen werden nach ihrem Gegenstand unterschieden, je nachdem
ob sie auf Strafe, auf Ersatz oder auf beides gehen (Gai. IV6—9) 1. Aber wiewohl bei einzelnen
Delikten tatsächlich die Strafe auf den bloßen Ersatz des Schadens hinausläuft wie bei der Sach-
beschädigung 2, das Ziel der Klage also res ist, nicht poena (Gai. IV 9), so gilt doch die Aktio
auch in diesen Fällen nicht bloß als Klage aus Delikt, sondern auch als Straf klages.
Trotzdem die einzelnen Klagen sehr mannigfaltige Voraussetzungen haben und im engen
Anschluß an den Wortlaut der maßgebenden, gewohnheitsrechtlich, gesetzlich oder prätorisch
festgelegten Vorschriften behandelt werden, bleibt ihr allgemeines Wesen nicht unerkannt.
Erfordert wird vollendete Verletzung einer Person oder Sache, und zwar regelmäßig durch
positive Handlung, Rechtswidrigkeit (iniuria — sine iure) und in vorgeschrittener Rücksicht auf
die inneren Momente beim Täter Verschulden, meist Vorsatz, seltener bloße Nachlässigkeit.
Die Rechtssätze sind fast durchaus noch aus den Nachwirkungen des Racherechts zu er-
klären. So u. a. 1. die prinzipielle Unvererblichkeit der Klage auf beiden Seiten. Prätor und
Juristen verkehren dies freilich durch zahlreiche Ausnahmen zugunsten der Erben des Verletzten
ins Gegenteil, so daß nur solche Klagen als aktiv unvererblich übrig bleiben, die der Vergeltungs-
zweck besonders stark beherrscht, die heute sog. aes vindictam spirantes, z. B. ao iniuriarum
Gai. 4, 112 a. E. Auf seiten des Täters aber erlischt der Strafanspruch stets durch Tod; nicht
durch Capitis deminutio oder Freilassung, die die Rache nicht hinderten". Vom Uberlebenden holt
man die Sache oder deren Wert nach sachenrechtlichen Grundsätzen. In einigen Fällen gibt der
Prätor freilich besondere actiones in factum gegen die Erben 5, die Wurzel der nachklassischen
Bereicherungshaftung der Erben aller Deliquenten. 2. Ferner haften mehrere Mittäter kumu-
lativ auf den vollen Betrag der Strafe, ohne Rücksicht darauf, ob dem Verletzten infolgedessen
der Schaden mehrfach eingebracht wird. Dies gilt bei Körpewerletzung für die actio damni
iniuriae, auch wenn mehrere sukzessive einem Sklaven tödliche Streiche versetzen (Jul. D. 9,
1 Ganz anders Just. J. 4, 6, 19 mit seinen Actiones mixtae. S. De Francisci a. a. O.
und Albertario, Bull. S. 103.
2 Die Bemessung des Schadens nach dem Zeitpunkt des höchsten Wertes im letzten Jahre
gemäß der Lex Aquilia, 1. Kap., oder in den letzten 30 Tagen gemäß der Interpretation des
3. Kapitels hält erst Just. J. 4, 6, 19 für eine pönale Steigerung des Ersatzes; vielmehr ist dies
ein Versuch zur Ausmessung des wahren Schadens.
* Vgl. bereits Hitzig a. a. O. De Francisci 8. Albertario, Bull, S. 97.
4 Gai 4, 112; für Honorarklagen Cass. D. 44, 7, 35 (von ut tamen itp., wie allg. aner-
kannt). — D. 4, 5, 2, 3; 44, 7, 14. — Ulp. D. 47, 1, 1 pr. (sed enim — re exhibita m. E. itp.).
5 Auf das simplum aus Depositum „necessarium“ D. 16, 3, 1, 1; auf das, was an die
Erben gelangt ist, aus dolus (Gai. u. Paul. D. 4, 3, 26; 29), metus (Gai D. 4, 2, 19) De Fran-
cisci 81—86, und mindestens noch ex causa interdicti unde vi (Ulp. D. 43, 24, 15, 3). Daß
bei Dolus und Metus die Beschränkung der Haftung auf die Bereicherung, im letzten Fall die
Vererblichkeit interpoliert sei (Albertario), ist nicht nachgewiesen.