Grundzüge des römischen Privatrechts. 469
Bemerkenswert ist bei allen Geschäftsführungsklagen wegen einer ganzen Vermögens-
verwaltung, daher auch bei Ao. neg. gest. und tutelae, daß außer ihr vorhandene spezielle
Klagen, z. B. aus einem Depositum des verstorbenen Mündelvaters beim Vormund, während
der Gestion grundsätzlich nicht angestellt werden, weil der Gestor sie selber zu befriedigen hat
(a semet ipso exigere) und dafür mit der generellen actio haftet (sog. Devolvierung) 1.
g 74. Innominatverträge 2. Wenn ein gegenseitiger Vertrag geschlossen war, der in
keine der feststehenden mit Formeln bewehrten Kategorien fiel, so war juristisch nichts vorhanden.
Leistete ein Teil dennoch, so stand ihm beim Ausbleiben der Gegenleistung nur die concdictio
auf Rückgabe zur Verfügung. Dies ist unbestritten der Rechtszustand zu Beginn der Kaiser-
zeit. Auf der anderen Seite ist es unzweifelhaft nicht mehr klassisch, wenn unter Justinian
grundsätzlich aus allen gegenseitigen Verträgen, die nicht an sich wirken, für die vorleistende
Partei eine bonae-kidei-Klage auf Erfüllung fließt, welche actio praescriptis verbis heißt und
mit der condictio wahlweise konkurriert. Zweifelhaft ist, welche Wurzeln diese so anerkannten
„unbenannten Verträge“ auf do ut des, do ut facias, facio ut des, facio ut facias in der Juris-
prudenz des Prinzipats haben. Zwei oder drei Gruppen von Klagen, die nachmals in jene
Sammellkategorie der Actio praescriptis verbis fielen, dürften aber aus den schwer inter-
polierten Quellen ersichtlich sein. Erstens fühlte man sich in Ausnahmefällen veranlaßt, dem
vertragstreuen Teil an Stelle der nicht mehr durchführbaren Rückforderung ein anderes Rechts-
mittel zu geben. So, wenn er einen Sklaven freigelassen hat (was nicht widerruflich ist) und
ihm die Gegenleistung versagt, etwa der dafür eingetauschte Sklave evinziert wird; Julian
gibt eine actio in kactum (Bericht in D. 2, 14, 7, 2 und 19, 5, 5, 2 a. E.), eventuell eine
actio de dolo (auch Diocl. C. 2, 20, 4). Worauf diese Klagen gingen, wissen wir nicht, sonderm
nur, daß Paulus in solchen Fällen die Klage auf das Interesse einrichtete: quanti interest mea
servum habere quem manumisi (D. 19, 5, 5, 5), also das negative Interesse; aber das ist
eine Festlegung, die den schärferen Schadensbegriffen höchstens gerade des Paulus entspricht.
Oder wenn Sklavendienste gewährt werden, so daß man andere Dienste dafür erhalten
soll, so erkennt, wie es scheint, Marcian die Analogie des Sachtausches an, erlaubt aber an
Stelle der Rückforderung der nicht mehr rückgängig zu machenden Dienste ein „praescriptis
verbis agere“, wie es im Justinianischen Text D. 19, 5, 25 heißt.
Zweitens ist der Fall der Eviktion aber auch bedeutsam beim vollzogenen Tausch von
Sachen gegeneinander. Hier erhält der Vertragsteil, der Eviktion durch einen Dritten er-
litten hat, eine Formel nach Analogie der Kaufklage 3. Diocl. C. 4, 64, 2, wo der Tausch
dem Kauf gleichgestellt wird, dürfte nur ein beschränkteres Anwendungsgebiet haben (ef. Diocl.
eod. 1. 7). Aber bis zu einem gewissen Grad muß die Analogie durchgeführt worden sein. Die
Sabinianer wollten sogar den Tausch als Abart des Kaufs behandeln", um ihn zu einem Kon-
sensualkontrakt zu erheben. Dies drang freilich nicht durch.
Endlich ist in einer Anzahl von Fällen, — die wir zum Teil als sachlich, sämtlich als
formell interpoliert betrachten, nicht aber sämtlich streichen dürfen —, wo die vorhandenen
Formeln sämtlich auf zwischengelagerte Tatbestände nicht recht paßten, so daß man zweifelte,
welche heranziehbar sei, eine Klage auf die Gegenleistung gegeben worden; bisweilen, bes.
1 Peters a. a. O.
*„ Gradenwitz, Interpolationen 123; Pernice, ZSavt. 9, 248; Labeo 3, 88;
Lenel, Ed. 1. Aufl. 237; 2. Aufl. 292; Naber, Mnemosyne 22 (1894) 68—86; Audibert,
Mél. Gérardin 21; Mél. Fitting 1, 37 Perozzi, lstit. 2, 278; Beseler, Beiträge 2, 156;
Longo, Mél. Girard 2, 114; Rotondi, Bull. 24, 101—106; De Francisci, T#i M#axka 1,
Pavia 1913. Zur vorzjustinianischen byzantinischen Datierung der Lehre der 40 praescr. verbis,
Basilika, Heimbach 4, 593; 1, 695 (Eudoxius u. Patricius) Naber 71; Franciseci 330; vgl.
auch Schulz, Festg. f. Zitelmann (1913) 11.
2 Paul. D. 19, 4, 1, 1; Diocl. C. 8, 44, 29; auch Gord. C. 4, 64, 1 Satz 1 s. Rabel,
Haftung des Verkäufers 1, 122—124. Ganz anders Franeisci 155, indem er m. E. viel zu
viel schablonisiert.
Paul. D. 18, 1, 1, 1; D. 19, 4, 1 pr.; Gai. 3, 141. Hiervon (actio emti) versteht
Perozzi 282 auch Aristo u. Mauric. in D. 2, 14, 7, 2, die von obligatio reden. Aber die
Polemik des Celsus D. 12, 4, 16 gegen die andere „obligatio“ als die kondiktionenmäßige baßt
hierauf keinesfalls, da hier wirklich Geld gegeben wird, wie es die Prokulianer verlangen. er
diese zweifelhafte Stelle Lit. bei Appleton, Rev. générale 36 (1912) 481; Francisei 126.