Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

44 I. Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte. 
seiner Arbeit, die allein als das Bestimmende, Produktive, Vermögensvermehrende erscheint; 
eine Argumentation, welche auch folgende Form annahm: das Kapital verschwindet mit dem 
Gebrauch, ein Lohn für den Gebrauch sei darum ein Lohn für ein Nichts — eine Argumentation, 
welche verkannte, daß nach Verschwinden der Einzelstücke der hierdurch geschaffene Wert fort- 
dauert 7. 
Alle diese Anschauungen haben es herbeigeführt, daß das Zinsnehmen bei manchen Völkern 
verboten wurde: die Juden durften nur vom Nichtjuden Zins nehmen, das Christentum unter- 
sagte jedes Zinsnehmen, und die Kirche bestrafte den „Wucher", d. h. das Zinsannehmen, mit 
dem schweren kirchlichen Fluche:, und sie verlangte auch, um ihr Verbot wirksam durch- 
zuführen, die Gerichtsbarkeit in allen Wucherfällen. Auch der Islam verpönt das Zins- 
nehmen; dieses Verbot und die dadurch bewirkte Einschnürung der Verkehrsgeschäfte, um Um- 
gehungen zu verhüten, gehört zu den besonderen Eigentümlichkeiten des islamischen Verkehrs- 
rechtes. Hat doch dieser Gedanke hauptsächlich dazu beigetragen, die Handelsgesellschaften des 
Islams (Schirkat) und damit einen der Haupthebel der Kultur zu verkümmern. 
Andere Völker setzten sich über diese Gründe hinweg, berücksichtigten aber in sonstiger 
Weise die Lage des Kapitalsuchers, der häufig in Not ist und sich den beschwerenden Umständen 
beugen muß, die sich ihm bieten: sie gestatteten zwar das Zinsnehmen, bestimmten aber ge- 
wisse Schranken; ein Zinsnehmen darüber hinaus war verboten und wucherisch, ein Vertrag 
solcher Art nichtig oder gar strafbar. Diese Behandlung finden wir im indischen Rechte wie 
im römischen; im indischen Rechte gibt es aber noch ganz besondere feine Untergliederungen: 
nach den Rechtsbüchern war die Zinshöhe je nach der Kaste des Darlehensnehmers 
verschieden. In gewissen Fällen sah man sich genötigt, von dem Verbote abzugehen, wenn 
nämlich der Zins eine erhebliche Versicherungsprämie enthält, insbesondere wenn das Dar- 
lehen für ein gefährliches Geschäft gegeben wird, so daß der Darleiher ein erhebliches Risiko 
läuft; so bei dem Kredit, den man dem seefahrenden oder sonst in die weite Welt ziehenden Kauf- 
mann gewährt. 
Eine der interessantesten Erscheinungen der Rechtsgeschichte ist die Wirkung der Zinsverbote 
auf die Völker und der verzweifelte Kampf aufstrebender Nationen gegen die strenge Festhaltung 
der Verbotssatzungen. Das Zinsverbot legt natürlich das Kapital nach einer Seite hin lahm; 
es zwingt den Geldinhaber, es in Grundeigentum und anderen, Naturfrüchte bringenden, Gegen- 
ständen anzulegen; und will man Handel treiben, so kann man sich nicht durch bloßes Darleihen 
beteiligen, man muß zum Selbsthandel schreiten oder mindestens eine Gesellschaftsart wählen. 
Alle solche Formen, welche das Zinsverbot offenläßt, werden mit Begierde ergriffen, und der 
gehemmte Trieb dringt mit Gewalt hervor. So ist keine Art des Handels im Morgen- 
land üblicher geworden als die des Kirad oder der Commenda, im ostasiatischen Archipel 
Bagilaba oder Maparo Bati genannt, die darin besteht, daß man jemandem für sein 
Geschäft ein Kapital gibt und dafür am Gewinn beteiligt wird. 
Eine andere Form, in welcher sich das Kapital verzinslich macht, ist die der Grundrente: 
man gibt dem Grundeigner ein Kapital, das vom Grundstück aus eine ewige Rente auswirft; 
die Kapitalschuld bleibt nicht bestehen, sie geht in der ewigen Rente auf: nicht mehr der 
mi Thomas von Aquin, Summa 2. 2 qu. 78 a. 1: Cum pecuniae usus sit illius con- 
sumptio ac distractio, injustum et illicitum est, pro ejus usu aliquid accipere . venditur id 
duod non est, per ducd manifeste inaequalitas constituitur, quae justitiae contrariatur. Er 
gebraucht das Beispiel: si quis seorsum vellet vendere vinum, et vellet seorsum vendere usum 
Vini, venderet eandem rem bis vel venderet id qucd non est; unde manifeste per injustitiam 
peccaret. Diese Argumentation wurde unzähligemal wiederholt, so von Scaccia, de comm. 
5 1 qu. 1 nr. 403. Daß sie nur eine ganz relative Berechtigung habe und wesentlich auf die wirt- 
schaftlichen Zustände jener Zeit berechnet sei, erkennen die heutigen Kanonisten selbst an, vl. 
Schaub, Eigentumslehre nach Thomas S. 360 f., Biederlack, S. J., Der Darlehnszins 
(1898) S. 8 f. Auch der päpstliche Stuhl machte darum Vorbehalte, so das Rundschreiben Vixr 
pervenit Benedikts XIV. von 1745, und genehmigte das mäßige Zinsennehmen auf Grund der 
Staatsgesetze. Vgl. Biederlack S. 32, 39, und das hier zitierte Enchiridion morale von 
Bucceroni. Die heutigen katholischen Moralisten, z. B. Lehmkuhl (Theologia moralis 1 1313 f.), 
Cathrein, Moralphilosophie II S. 366 erkennen für unsere Zeit das Zinsennehmen ohne 
weiteres als statthaft an (hierzu meine Bemerkung im Archiv f. Rechtsphil. IV S. 502). 
: Ugl. insbesondere Clem. un. de usur. (5, 5) vom Konzil von Vienne 1311.
	        
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