Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

478 Ernst Rabel. 
auf zwei Punkten. Das dare oportere entfällt mit dem Ausscheiden des sachlichen Gegenstands 
aus der Körperwelt, z. B. Tod des geschuldeten Sklaven. Andererseits macht sich der Schuldner 
durch ein Handeln gegen das Obligationsband verantwortlich. Er haftet danach in zwei Fällen. 
Erstens wegen seines positiven Tuns (factum, später auch culpa genannt), durch das er die ge- 
schuldete Sache vernichtet, z. B. Töten des Sklaven; nicht wegen eines Unterlassens, das den 
Untergang verursachte, z. B. indem er den kranken Sklaven umkommen läßt, ad dandum non 
faciendum tenetur (Paul. D. 45, 1, 91 pr.). Er haftet zweitens, wenn er der Schuld entgegen 
nicht leistet (mora), daher auch, wenn die Sache nachher irgendwie untergeht. Diese beiden 
Gruppen von Ereignissen, die die Obligation nach ihrem Entstehen aber vor ihrer Erfüllung 
treffen, ahmt heute noch das BGB. mit seinen einzigen Kategorien „Unmöglichkeit“ und „Ber- 
zug“ nach. In beiden Fällen bleibt seit der republikanischen Jurisprudenz die Formel si paret 
Num Num Ao Ao hominem dare oportere zu bejahen, adhuc homo peti potest. Paul. D. 45, 
1, 91, 3 nennt dies Verewigung der Obligation. In beiden Fällen liegt es „an dem Schuldner, 
daß er nicht leistet“ per eum stat quominus praestet 1. Diese Grundzüge hat man nur da und 
dort nachgebessert, am meisten beim Legat? und bei den schon freier behandelten aus späterer 
Zeit stammenden Stipulationen auf ein Tun, wo vertragsmäßige Kraftanspannung verlangt 
wird (Ven. D. 45, 1, 137, 3). Geradezu auf andere Grundlagen stellt sich allmählich die Be- 
urteilung der prätorischen und zivilen Billigkeitskllagen. Überall zwar bleibt das Vereiteln der 
Leistung die entscheidende Tatsache für die Verantwortlichkeit des Schuldners. Aber die letztere 
wird in der Regel nicht mehr an die nackte Verursachung („Erfolgshaftung"), sondern an das 
schuldhafte Verhalten („Verschuldenshaftung“) geknüpft. Die Hauptfrage richtet sich demnach 
auf die Zurechenbarkeit von Handlungen und Unterlassungen, d. h. dem Wesen des Privatrechts 
gemäß auf die Anforderungen, die unter Berücksichtigung der Verkehrssitte an die Personen 
des Schuldverhältnisses zu stellen sind. Diese müssen in den einzelnen gesetzlichen Vertrags- 
verbindlichkeiten verschieden sein (Grade des Verschuldens). 
So viel kasuistische Vereinzelungen hierbei die Eigentümlichkeiten der mannigfachen Schrift- 
formeln und der wechselnde Einfluß der Zeiten und Lehrmeinungen ergeben, sind doch zwei 
allgemeine, sich historisch ablösende Grundsätze bemerkbar. Bei den Klagen, die mit der Ver- 
urteilung zur Infamie des Schuldners führen: pro socio, fiduciae, tutelae, mandati, depositi 
(Gai. 4, 182), war diese schwere Ehrenstrafe von vornherein nur auf ehrlosen Treubruch ge- 
münzt. Deshalb wird hier nur für Dolus gehaftet 3, dessen Begriff zu erweitern den Juristen 
zunächst allein übrig bleibt. Sie bringen darin gem jede bewußte Treuverletzung unter. Im 
3. Jahrhundert muß aber der Grundsatz bereits stark verblaßt sein; der Vormund haftet bereits 
für bloße Nachlässigkeit (Pap. D. 26, 7, 41), ebenso der Fiduziar, falls nicht Mod. Coll. 10, 2, 2) 
unecht ist 4. Ahnliches gilt von den ursprünglich meist nur den Dolus verfolgenden sonstigen 
actiones in factum. Die Klassiker finden mehr und mehr, nach dem Vorgang Labeos (D. 19, 5, 
20, 2) die Haftung zu verteilen, je nachdem zu wessen Vorteil das Schuldverhältnis begründet 
ist. Hierauf führt es schließlich die Kollatiostelle zurück, daß der Depositar und der Mandatar 
nur für Dolus, der Commodatar, Fiduziar und Ehemann für Dolus und Culpa haften; die 
Haftung des Vormunds für Fahrlässigkeit sei eine Ausnahme. Noch weiter führt angeblich 
Ulp. D. 50, 17, 23; 13, 6, 5, 2 das Schema, wobei vieles von Tribonian sein muß. Lückenlos 
Segre, St. Moriani; St. Fadda 6, 331; Bull. 19, 226; Seckel-Heumann, Wö., Custodia; 
diligentia; Mitteis, PK. 5 17; Kübler, Das Utilitätsprinzip, SA. aus Festg. f. Gierke 
(1910); F. Schulz, Grünhuts Z. 38, 9; B8 Sav t. 32, 23; 8 VglRechtsw. 25, 459; 27, 145; 
Kr. Bischr. 57 (= 3. F. 14) 22 (über und gegen Lusignanis unzugängliche Schrift); 
Rotondi, Arch. giur. 83, 269; Riv. ital. 51 (1912) 137; Dolus ex delicto e dolus ex contractu 
(aus Ann. Fac. Giur. Univ. Perugia II) 1913. 
1 Pernice, Labeo 2, 2, 107: Gradenwitz, ZSavöt. 34, 255. UÜber die Bemessung 
der Litis aestimatio Marchi, St. Scialoja 1, 165. 
* Pernice 2, 2, 129; Ferrini, Archiv Prax. 78, 321. 
stritt 2 Dieses von Mitteis 324 entwickelte Prinzip wird mit Unrecht von Kübler 35 be- 
ritten. 
4 Für Mandat, Societas und Depositum erwies Mitteis 325 die Fortdauer der bloßen 
Dolushaftung; freilich vgl. Gai. D. 17, 2, 72, wieweit itp.?; für die Fiducia behauptet sie 
Rotondi, der Coll. 10, 2, 2 für unecht hält, für Tutel s. Kübler 15.
	        
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