Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

Grundzüge des römischen Privatrechts. 489 
§ 98. Aufrechnung 1. Unter compensatio versteht Gai. 4, 64—68 die Verrechnung, 
zu der nach dem Edikt (Lenel# 100) der Bankier gezwungen ist, indem er gegen seinen Kunden 
aus der laufenden Rechnung nur den Saldo einklagen darf. Ihr ähnelt die deductio, die sich 
der Ersteher einer Konkursmasse im Prozeß gegen einen Schuldner der Masse gefallen lassen 
muß, indem dessen Forderungen gegen den Gemeinschuldner abgezogen werden, und zwar 
auch die ungleichartigen und betagten Forderungen. Außerdem kennt das 1. Jahrhundert 
nur erst die natürliche Wirkung der Bonae--fidei- Formeln, daß der Richter Ansprüche und 
Gegenansprüche aus dem in den Streit gezogenen Rechtsverhältnis (ex pari specie) nach 
seinem Ermessen abzuwägen hat (Gai. 4, 61—632). Ein trotz vieler Bemühungen noch 
dunkles Reskript von Mark Aurel (J. 4, 6, 30) bahnte mit Hilfe einer exco. doli ein allgemeineres 
Recht des Schuldners auf Aufrechnung im Prozesse an, im Verfahren vor den kaiserlichen 
Beamten war die Aufrechnung leicht durchsetzbar (Paul. D. 16, 2, 24 u. a.). Man hat den 
Eindruck 5, daß in der letzten klassischen Epoche die prozessuale Gegenverrechnung, vielleicht 
auch schon unter dem Namen Compensatio (Mod. D. 16, 2, 1) allgemein geübt wurde (Paul. 
S. 2, 5, 3° argentarius?). Das moderne Recht der Aufrechnung hat aber erst Justinian her- 
gestellt, der alles frühere mischt; der aus dem Argentarierrecht stammende " Satz: ipso iure 
compensatur (D. 16, 2, 21; C. 4, 31, 14) mußte dann zu allen Zeiten böses Kopfzerbrechen 
bereiten. Die Klassiker kennen keine andere Wirkung des bloßen Gegenüberstehens kom- 
pensabler Forderungen, als daß nach Kaiserreskripten der Zinsenlauf vom Moment der Kom- 
pensationsmöglichkeit ab im Urteil unberücksichtigt bleibt 5. 
§ W. Tod und Capitis deminutio. Ist wirklich das Delikt der älteste Schuld- 
grund, so müssen die persönlichen Haftungen anfangs passiv unvererblich gewesen sein. Für 
beides liefert denn auch mit der gesamten Rechtsvergleichung das alte römische Recht Anhalts- 
punkte. Noch in der Kaiserzeit gehen sämtliche Deliktsklagen als solche nicht gegen die Erben 
der Delinquenten. Für Vertragsklagen gilt zwar grundsätzlich beiderseitige Vererblichkeit. 
Jedoch die adstipulatio und die beiden älteren Bürgschaftspromissionen sind höchstpersönlich, 
was man sich doch wohl als ein Fortleben des alten Prinzips erklären darf #. Sonstige Endi- 
gungen lassen sich auch aus besonderen Gründen rechtfertigen: es erlöschen Gesellschaft und 
Auftrag wegen des Treueverhältnisses, und wegen der persönlichen Färbung eines versprochenen 
Tuns nach der herrschenden Lehre jede stipulatio kaciendi, wenn nicht der Erbe des Gläubigers 
genannt ist?, ebenso das Einrederecht aus dem pactum de non petendo einschließlich des 
Schiedsvertrags, mangels einer mentio heredis 8. 
Brinz, Die Lehre von der Kompensation (1849); Dernburg, Gesch. u. Theorie 
der Kompensation (1854, 2. Aufl. 1868); Ubbelohde, Über den Satz: ipso iure compen- 
satur (1858); Schwanert, Die Kompensation (1870); Eisele, Die Kompensation (1876); 
Stampe, Das Kompensationsverfahren im vorzjustinianischen Stricti iuris judicium (1886); 
Appleton, Histoire de la compensation en droit romain (1895); Jörs in Birkmeyers 
Enzykl. 1 1290; P. Kretschmar, Entwicklung der Kompensation im röm. Rechte (1907); 
Naber, Mnemos. 36, 65. 
: Nur auf Ausschluß solcher Gegenansprüche des Pächters bezieht sich die Klausel „&v# n 6#v d“ 
in den Papyri, s. Waszynski, Bodenpacht 127 gegen Braßloff, ZSavöt. 21, 362. — 
Einen angeblichen weiteren Fall: „Impensae necessariae dotem ipso iure minuunt“ erklärt 
Schulz, ZSavöt. 34, 57 als Retentionsrecht. 
2 Bonfante, Istit. 401. 
* Pernice, Lab. 2, 1, 279; Appleton 122; Lenel, Pal. Paul. 1273; gegenteilig 
R. Leonhard, Mélanges Girard 2, 100 (schaltet ein: „in bonae fidei iudiciis“). 
s Sev. in D. 16, 2, 11; Alex. C. 4, 31, 4; 5; Philipp. C. 8, 42, 7. 
6 Cud, Nouv. rev. 1886, 546; Esmein, Nouv. rev. 1887, 48; zu Gortyn IX 24—40 
Glotz:, Solidarité de la famille 267. — Zweifel bei Mitteis, Festg. f. Bekker 133. 
7 Just. C. 8, 37, 13. Ruggiero, Bull. 15, 21; Material bei Kotondi, Di alc. riforme 
(oben & 95) 14. 
* Mitteis, P. III; Rotondi a. a. O.
	        
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