Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

498 Ernst Rabel. 
gegenüber einem späteren Pfandrecht gemeint ist (Marcian D. 20, 4, 12, 4) — ein abermaliger 
Durchbruch ganz moderner Gedanken. 
Die Pfandklage aus italischen Pfändern begegnet nach einem Jahre einer dunklen ex- 
ceptio annalis 1, in der Severenzeit besteht die Einrede aus dem 10—20 jährigen Zeiterlauf 
(praescriptio longi temporis, § 44). 
IV. Allgemeines über Rechtshandlungen. 
Hier mögen einige der Lehren Platz finden, die nach dem Muster des pandektistischen All- 
gemeinen Teils moderne Beobachtungen über antike Anschauungen zusammenfassen dürfen. 
Die Betrachtung der unentgeltlichen Zuwendungen unter Lebenden führt zum Erbrecht 
hinüber. 
§ 109. Der Frrtum spielt im Rechtsleben eine zu vielseitige Rolle, als daß er einer ein- 
heitlichen Behandlung fähig wäre. Die römischen Juristen streben freilich allgemeine Regeln 
an, Paulus schrieb eine eigene Monographie de juris et facti ignorantia. Was dabei aber heraus- 
kommt, ist hauptsächlich nur die Maxime, daß der Rechtsirrtum schadet. Richtig ist sie gewiß 
insofern, als alle Rücksichten, die man dem Irrtum schenkt, zunächst auf einen Irrtum über Tat- 
sachen der Außenwelt berechnet sind. 
Solcher Rücksichten gibt es viele. Unwissenheit oder unrichtige Beurteilung der Tat- 
sachen ist Tatbestandsmerkmal z. B. für die bona kides im Sachenrecht und für den Ausschluß 
des Dolus im Obligationenrecht und Strafrecht, für die condictio indebiti, für die restitutio 
in integrum wegen Irrtums. Sehr hübsch ist der Gedanke, daß für einen allgemein als eigen- 
berechtigt angesehenen Haussohn die exceptio SC. Macedoniani nicht gilt (Ulp. D. 14, 6, 3 pr.) 
und die Zuziehung eines allgemein für frei gehaltenen Sklaven als Testamentszeugen nicht 
schadet (C. 6, 23, 1), ähnlich nach erroris probatio der Irrtum über den Stand des Ehegatten 
gutgemacht wird, z. B. beim Irrtum einer Römerin über das Bürgerrecht des Ehemanns dem 
peregrinischen Mann und den Kindem die Zivität verliehen wird (Gai. 1, 67—75). Uberall 
gilt der Rechtsirrtum prinzipiell nicht als genügend (Nerat. D. 22, 6, 2; Reskripte C. 1, 18, 
12; D. 22, 6, 9, 5 u. a.). Er wird nur billigkeitshalber ausnahmsweise beachtet und klassenweise 
zugunsten der Minderjährigen, Soldaten und, soweit Nachteile zu vermeiden wären, der Frauen. 
Aber sicherlich ist jenes Prinzip eine zu grobe Verallgemeinerung. Brauchbar ist daran zweierlei. 
Der einzelne Rechtssatz muß auch auf die ihn nicht kennenden Personen angewendet werden 
(z. B. Paul. D. 22, 6, 1), weil sonst das Gesetz vom Belieben der Rechtsuntertanen abhinge. 
Und die Unkenntnis von der Rechtsordnung zählt dort nicht leichthin mit, wo es auf entschuld- 
baren Irrtum ankommt. Diesen Wahrheiten werden die Juristen und Kaiser in einzelnen Ent- 
scheidungen gerecht, insbesondere auch durch Versuche, den Rechtsirrtum desjenigen zu ent- 
schuldigen, der eine sachverständige Belehrung nicht erlangen kann (Lab. in l. 9 5 3 ebd.) oder 
desjenigen, der sonst einen Verlust erleiden würde (Pap. I. 7 ebd.); daß sie ständig sachgemäß 
urteilen, kann ihnen schwerlich nachgerühmt werden 3. 
§ 110. Geschäftsirrtum ". Inwiefern leidet ein Rechtsgeschäft darunter, daß ein Vertrags- 
teil eine äußerliche Handlung setzte, die der Gegner oder der Verkehr für eine hinreichende 
Willenserklärung halten darf — „Erklärung“ im modernen Sinn —, in Wirklichkeit aber nicht 
den entsprechenden Willen hatte und selber die Abweichung des Willens von der „Erklärung“ 
1 Lenel, ZSavt. 27, 78. 
:Adler, Ih. Jahrb. 33, 149. Vgl. Pernice, Loab. 2, 1, 493. 
* Insbesondere auch nicht bei der Condictio indebiti; anders“ hierin Adler 199 ff. Ob 
die Billigkeitsentscheidung bei Ulp. D. 36, 4, 1 pr. (W indsch eid, § 426 N. 14; Pernice, 
Labeo 2, 1, 495) echt ist, steht auch dahin. 
Sawig any#t" System III I§ 114, 115, 134—139; Zitelmann, Irrtum und Rechts- 
geschäft uus7) 2 eonhard, Irrtum als Ursache nichtiger Verträge 2 1907; in Realenz. 
consensus II 902; Eisele, Ih. Je. 25, 414; Kohler, Ih. Ib. 28, 166; Mitteis, ebd. 
121; neuerdings bef. He mle, Vorstellungs- und Willenstheorie 2 190; Binder, Wille 
u. Willenserklärung (SA. aus Arch. f. Rechts- u. Wirtschaftsphilos. 5/6) 47.
	        
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