518 Ernst Rabel.
anlassung halb oder ganz vergessen, deren Sinn und Tragweite nicht mehr sicher festzustellen
waren. Wichtige Rechtssätze reichen offenbar in die geheimnisvollsten Vorzeiten zurück. Sie
nötigen auch uns, stärker als sonst irgendein Teil des römischen Rechts, zu kühnen geschichtlichen
Hypothesen.
Unserer historischen Erkenntnis verschließt sich unter solchen Umständen noch viel mehr
als dem Scharfsinn der Klassiker. Wir können bestenfalls nur ahnen, warum Kastraten bis auf
Konstantin kein Testament errichten konnten! Kaum von einer der zahllosen gesetzlichen und
prätorischen Neuerungen kennen wir mit voller Sicherheit den rechtspolitischen Zweck. Und
allem Raten scheint gerade die mit fast sämtlichen erbrechtlichen Problemen verwachsene Frage
zu spotten, woher die Römer ihren Erbrechtsbegriff genommen haben. Die Forschungen der
letzten Jahrzehnte brachten uns ihrer Beantwortung nur insoferm näher, als wir teilweise Zwie-
spältigkeiten im klassischen Recht zu beobachten und manches daran mit dem durch Rechts-
vergleichung geschärften Blick als Uberrest alter, den andern Völkern naher Vorstellungen zu
erkennen vermögen 1. Auch das ist nicht frei von vermutungsweisen Annahmen, und es führt
nicht bis zu einem plausiblen Aufbau der ganzen Erbrechtsgeschichte.
Das klassische Recht huldigt durchaus dem Prinzip der Gesamtnachfolge. Es kann sich
einen Vermögensübergang vom Verstorbenen her, sofern der Nachlaß nicht etwa an Staat
oder Gläubiger fällt, nur dann denken, wenn ein Erbe da ist, eine Person, die in universum jus
defuncti (Jul. D. 50, 17, 62), in die gesamte Rechtsstellung des Erblassers einrückt. Soweit
wir mit Sicherheit zurückblicken können, steht das Testament voran. Für den begüterten Römer
ist es das gewöhnliche, daß er einen letzten Willen errichtet. Die sich von Rechts wegen voll-
ziehende Erbfolge kraft Familienzugehörigkeit hat ihren Namen davon, daß sie in Ermanglung
eines Testaments eintritt, und dies schon in den 12 Tafeln: si intestato moritur; der „Erb-
lasser“ heißt farblos defunctus, is de cuins bonis agitur und bezeichnender nur als Testaments-
errichter: testator 2. „Gesetzlich" nennen die Römer zwar regelmäßig wie wir den nicht-
testamentarischen Erben (heres legitimus) im Gegensatz zum scriptus heres, aber bisweilen gerade
auch den testamentarischen Erwerb des Erben und Legatars (Ulp. 19, 17; D. 50, 16, 130), weil
er durch die Zwölftafeln bestätigt sei. Das Testament ist seinerseits unmöglich ohne gültige
Erbeseinsetzung, die sogar äußerlich an der Spitze der Verfügungen stehen muß; heredis institutio
Caput atque fundamentum totius testamenti (Gai. 2, 229; näheres Paul. 3, 6, 2). Das Vor-
handensein eines Testamentserben schließt das Miterben irgendwelcher (im heutigen Sinn)
gesetzlich berufener Personen aus, neque enim idem ex parte testatus et ex parte intestatus
decedere potest (J. 2, 14, 5). Und sei der Erbe testamentarisch oder sonst berufen, seine Stellung
ist starr und unverbrüchlich: „semel heres semper heres“ (nach Gai. D. 28, 5, 89).
Daß diesen Vorstellungen und Dogmen nicht insgesamt die Würde einer uralten Herkunft
zukommt, ergibt schon ein Blick auf ihre Ausnahmen. Wenn z. B. eine Tochter oder ein Enkel
im Testament nicht wenigstens in Bausch und Bogen enterbt erklärt sind, so konkurrieren sie mit
dem eingesetzten Erben (Gai. 2, 124), und der Satz: nemo pro parte versagt. Wenn ein Agnat
als solcher mangels Testaments berufen ist, so kann er sein Erbrecht veräußern, mit der Wirkung,
daß der Erwerber die Erbenstellung einnimmt (Gai. 2, 35), freilich darf er es bloß vor dem Erb-
antritt, aber mit der Idee einer höchstpersönlichen Erbeneigenschaft, wie sie im Satze semel
heres semper heres sich auszudrücken scheint, vollends gar mit einer spirituellen Übertragung
der Persönlichkeit des Erblassers ist es nicht vereinbar. Jene Dogmen sind eben im Grunde
bloße Maximen und müssen später entstanden sein als diese Ausnahmen.
1 Diese Richtung der Forschung wird mit steigendem Erfolg neuerdings von zahlreichen
Gelehrten eingeschlagen. Die Meinungen gehen aber stark auseinander. Vgl. Zitate bei
Lenel, Zur Geschichte der Heredis institutio in Essays in legal history, Oxford 1913, 120.
Besonders zu nennen außer Lenel: Schirmer, BSart. 2, 165; Lambert, La tradition
romaine zur la succession des formes du testament 1901, wiederholt in Etudes de droit commun
G ou de droit comparéé 1903; Appleton, Le testament romain 1903; Ehrlich,
Zgl. Rechtsw. 17, 99; Bonfante, St. Scialoja 1, 533; neuestens Manigik, a. a. O.;
Bruck, Grünhuts Z. 40, 533; Biondi, Appunti int. alla donatio mortis causa 1914. Val.
die Schriften Kohler' s% zit. oben 25—37; Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Nechts
1913, 24. 183. 210.
2 v. Woeß 32.