Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

Grundzüge des römischen Privatrechts. 519 
Das Erbentestament nun kann gar nicht seit Urzeiten existiert haben. Das wäre eine un- 
faßbare Besonderheit der Römer. Bei andern Völkern finden wir auf mittleren Stufen nur die 
Adoption, durch die ein kinderloser Mann sein Haus und dessen Kult vor dem Verwaisen rettet, 
und das Zuwenden einzelner Stücke durch Schenkungen oder durch Verträge mit Treuhändern, 
Salmännern, die nach dem Tode die Verteilung besorgen sollen. Das zivilrechtliche Testament 
des Prinzipats kommt aber gerade vom Treuhändergeschäft her; es ist in einer Vorstufe, die noch 
Gai. 2, 103 kennt, ein Verkauf des Vermögens (familia), Manzipation um einen Pfennig an 
einen kamiliae emptor, damit dieser nach dem Willen des Erblassers über die Stücke des Ver- 
mögens verfügen könne. Das ist ein aus dem Verkehr unter Lebenden zurechtgemachtes 
Juristenprodukt. Zweifelhaften, aber unmöglich sehr hohen Alters. Es enthielt damals auch 
keine richtige Erbenbestellung, sondern nur „Legate“; der Verfügende gebraucht noch in der 
Kaiserzeit in seiner mündlichen Rede (nuncupatio) die Worte ita do ita lego ita testor, die für 
Vermächtnis und Vormundsernennung technisch sind. Statt des Erben stand der Treuhänder, 
heredis locum obtinebat, im fremden Interesse. Davon bleibt, nachdem längst der familiae 
emptor zur bloßen Solemnitätsperson herabgesunken ist, übrig: daß als Testamentszeuge außer 
den Gewaltunterworfenen des Erblassers auch derjenige des familiae emptor, sowie des letzteren. 
Vater oder Bruder nicht auftreten darf, da ein testimonium domesticum verpönt ist (Gai. 2, 
105 f.); daß eigentlich umgekehrt der Hausangehörige des ernannten Erben Zeuge sein kann, 
was man nur füglich nicht mehr zugeben will (Gai. 2, 108); und daß der Erbschaftssklave, da er 
gleichsam im Eigentum des kamiliae emptor steht, nicht im Verfahren gegen letzteren gefoltert 
werden darf (Divi fratres in D. 48, 18, 1, 6, Len. Ulp. 2209). Wahrscheinlich sind viele Sätze für 
den Erben aus Ubertragung vom kamiliae emptor her entstanden. Außer diesem privaten Testa- 
ment hören wir von ehemaligen Testamenten vor der Volksversammlung (calatis comitüs) 
und dem Heer (in procinctu), wissen aber nicht, welchen Charakter sie hatten und was sie auf 
das klassische Erbrecht gewirkt haben. Stärker aber tritt endlich eine andere, wohl die älteste und 
wichtigste Quelle des jus hereditarium hewor: das Familieneigentum. 
Wenn nach allen Lehren der Rechtsvergleichung das gewaltigste Rechtsinstitut der Welt 
die Hausgenossenschaft ist, die engere Familie, die auf gemeinsames Gedeihen und Verderben 
im Hause sitzt und das Landgut bewirtschaftet, so ist es von vornherein unwahrscheinlich, daß 
die Römer stets das individuelle und schrankenlose Eigentum des Hausherrn als Axiom faßten. 
Die Spuren, die auf ein altes consortium deuten, sind freilich schwach. Außer dem Gesellschafts- 
recht (§S§ 69) weisen immerhin gerade die Erbrechtsverhältnisse zuviel davon auf, als daß der 
Schein trügen könnte. Die Juristen kennen nur eine einzige Art von zivilem Erbrecht, jedoch 
zwei Arten seines Erwerbs. Die hausangehörigen Kinder und Kinder verstorbener Söhne, 
die mit dem Tode des Vaters gewaltfrei werden, sind sui heredes genannt und haben die Erben- 
stellung kraft Rechtens ohne ihr Zutun und ohne ihre Geschäftsfähigkeit, ja auch gegen ihren 
Willen. Sie sind „notwendige Erben"“, heredes necessarü#, sie nehmen unmittelbar die Rechts- 
stellung des verstorbenen Aszendenten ein. Dagegen werden alle anderen freien Personen 
(heredes extranei) auf Grund eines Testaments oder ab intestato durch den Todesfall und 
unter Umständen sogar erst später bloß zur Erbschaft „berufen" (defertur hereditas), sie erhalten 
das Recht, die Erbschaft zu erwerben: Ter. Cl. D. 50, 16, 151 delata hereditas intellegitur qusm 
qduis possit adeundo consequi, sie erwerben sie erst durch ihren erklärten Willensentschluß, 
den Erbantritt. Bis zu diesem „ruht" die Erbschaft, hereditas jacet. Hier liegt also zwischen 
dem Toten und dem Lebendigen eine Kluft, und wenn dann der letztere den ersteren „repräsen- 
tieren“, seine „Persönlichkeit fortsetzen“ soll, wie es mit einer gewissen Berechtigung heute als 
römischer Erbgedanke gilt, so ist das hier nur durch eine sichtlich mühsame juristische Konstruktion 
hergestellt. Die Grundmeinung der Römer ist vielmehr, daß die Erbschaftssachen in der Zwischen- 
zeit herrenlos und besitzlos sind, infolgedessen z. B. keiner, der sie wegnimmt, einen Diebstahl 
an ihnen begeht. Wahrscheinlich bedeuten das familiam habeto der Zwölftafeln, das do lego 
des Manzipationstestaments eine Ermächtigung an die Bedachten zur Besitznahme durch Be- 
treten des Grundstücks (adire) 1. Die Idee der Repräsentation ist für die Antike unleugbar. Sie 
tritt in der Fortsetzung des Kults den Göttern gegenüber herwor, in der künstlichen Sohnessetzung 
1 Lenel 124.
	        
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