Grundzüge des römischen Privatrechts. 521
flossen, inwieweit die gewiß einflußreiche Figur der Nachfolge der sui darauf einwirkte, ob un-
bekannte oder uns ohne erschöpfende Inhaltsangabe überlieferte Gesetze hineinspielten, und
noch vieles andre Mögliche. Ehe die künftige Forschung eine erhoffte Klärung bringt, bedarf
eine Darstellung des klassischen Erbrechts, will sie nicht von uferlosen Vermutungen überschwemmt
sein, einer empfindlichen Zurückhaltung vom Gebiete der historischen Zufammenhänge und der
teleologischen Deutungen.
8 126. Erbfolge und bonorum possessio. Im historisch bekannten Recht tritt der Erbe,
heres, in die gesamte Rechtsstellung des Verstorbenen als Nachfolger ein!, in sämtliche Rechte,
ausgenommen die aus besonderen Gründen höchstpersönlichen — bes. Ususfrukt, Usus, actiones
vindictam spirantes, Mandat, Gesellschaft — und mit gewissen Ausnahmen, wozu besonders
die Deliktshaftungen gehören, in die Schuldpflichten. Ebenso aber auch in die Rechtslagen,
indem er Fehler und Vorzüge des Besitzes vom Erblasser übermimmt, trotzdem er erst durch
tatsächliche Ergreifung der Sachen Besitzer wird; z. B. tritt er ein in die Interdiktenlage des
fehlerhaften Besitzers, in die bona oder mala ficles rücksichtlich der Ersitzung und des Publizianischen
Rechtes, in den Erbschaftsbesitz am Nachlaß eines Dritten pro possessore oder pro herede. Der
schlechtgläubige Erbe setzt also eine begonnene Ersitzung fort (Paul. D. 41, 4, 2, 19), der redliche
Glaube, daß eine vom Erblasser z. B. als Verwahrer innegehabte Sache in dessen bona sei,
nützt nichts, da der Erbe keinen selbständigen Ersitzungstitel hat (Pomp. D. 41, 5, 1, vgl. Diocl.
C. 7, 29, 4) 2.
Die successio in locum defuncti ist der Eintritt des Erben in sämtliche Rechte und Pflichten
des Verstorbenen, soweit sie vererblich sind, und der Eintritt mit dem einen Augenblick des
Erbschaftserwerbs. Diese Einheit der hereditas, d. i. der eben durch ihren Gesamtübergang
primär gekennzeichneten Erbschaft, macht das scharf ausgeprägte Wesen der Universalsukzession
aus, das wir von den Römem übernahmen. Darin liegt der Erwerb einer Masse mit einem
Schlage und, was im deutschen Recht nicht zutrifft, der Erwerb des ganzen Nachlasses ohne
Teilung in Sondermassen. Eine selbswerständliche Folge ist es den Römern, daß der Nachlaß
sich mit dem bisherigen Vermögen des Erben völlig mischt, daher u. a. die Nachlaßgläubiger
ohne Schranken seine Gläubiger werden, Rechtsverhältnisse zwischen Erblasser und Erben durch
Confusio erlöschen. Sie kennen auch nur teilweise Abhilfen, keine allgemein durchgreifende
für den Erben nach dem Antritt und für seine eigenen Gläubiger.
Die Erbfolge beruht entweder auf einem Testament oder einem vom Gesetz anerkannten
Naheverhältnis. Erbverträge und gemeinschaftliche Testamente, in den Papyri in mehrfachem
Sinn nachweisbar 3, kennen die Juristen nicht. Dach legt ein Inschriftenbruchstück (Corp.
Inscr. Lat. XI, 2, 4593)" die Annahme nahe, daß auch in Rom gemeinschaftliche Testamente
nicht unmöglich waren.
Doch wenn der zivilrechtliche Erbgang dauernd im Mittelpunkt der Doktrin steht, so macht
sich praktisch daneben in weitem Umfang die allmählich zu selbständiger Wirkung gediehene
bonorum possessio 5 geltend. In der uns beschäftigenden Zeit kann keine Rede davon sein,
daß die prätorische Einweisung in die Nachlaßsachen noch hauptsächlich dem wahren Zivilerben
zugute kommen soll. Der Prätor hat ein ganz entwickeltes System, u. a. eine eigene Intestat-
folge für seine Einweisungen, und das Testament, das er anerkennt, ist nicht mehr notwendig
zivilrechtlich gültig. Unter diesen Umständen ist es bemerkenswert, daß sich die juristischen Schriften
" vierzu bes. Bonfan te an oben S. 410 N. 1 ang. O.; in Glück Comm. 29, 1 (1907)
437 u. ö., zuletzt Ist. 509 N.
2 Das erstere ist wohl nicht wegen einer Itp. in D. 41, 3, 43 zu bezweifeln; aber auch das
leptere dürfte bei den Klassikern feststehen, da sich anscheinend gegenteilige Entscheidungen auf
andere Tatbestände beziehen, auch D. 41, 3, 44, 4 a. E. (falls überhaupt echt). Näheres hierzu
(über die soeben ang. Stelle anders) und betreffs der abweichenden Regelung der longi temp.
praescr. Partsch, Longi temporis praescriptio 13 und 165 gegen Janzucchi, Arch. giur.
72, 180; 333.
* Mitteis, Godz. 241.
4 Lieran erinnert mich Partsch.
5 Leist-Glück, 37/38 I—TV, 1870—1879 (noch heute ein Muster rechtshistorischer Unter-
suchung), ital. von Ferrini und (-ugia 1902—1909 mit Noten; Schmidt, 3SavSt. 17,
324; Lenel, Ed. 330