Grundzüge des römischen Privatrechts. 527
Der gewöhnlichen Substitution (vulgaris) steht die seltsame substitutio pupillaris 1 gegen-
über, die ein Mischgebilde aus verschiedenen Zeitläuften sein muß. Der Erblasser kann seinem
unmündigen suus heres nicht bloß falls er vor ihm wegfiele, sondern auch falls er später vor
erreichter Mündigkeit stürbe, einen Erben ernennen. Dies gilt als ein Testament für den Sohn
(Gai. 2, 180). Der Substitut ist Erbe des Sohnes (Ulp. D. 28, 6, 10, 5) und kann bestellt werden
sogar wenn der Vater das Kind enterbt; auch erhält er nicht bloß das väterliche Vermögen,
sondern den ganzen Nachlaß des Pupillen (Gai. 2, 182). Das war früher zweifelhaft (Cic. de
invent. 2, 21, 62—64), auch jetzt ist diese Substitution doch nur ein Anhang (sequela) zum eigenen
Testament des Vaters, was zahlreiche Folgen hat.
131. Gesetzliche Erben. Mangels eines Testaments erben in erster Reihe die sui heredes
eines Hausvaters nach Stämmen (Ulp. 26, 2), in zweiter — nach einer Frau in erster — Linie
gemäß der Zwölftafeln der dem Grode nach nächste Agnat. Die Klasse der Gentilgenossen ist
mit den übrigen gentilizischen Rechten längst verschwunden (Ulp. Coll. 16, 4, 2). Gerade die
alte Ordnung zeichnete sich anscheinend vor andern, z. B. dem griechischen Recht durch die Gleich-
behandlung der Geschlechter aus, sowohl hinsichtlich der nicht in fremde Häuser verheirateten
Töchter als der weiblichen Seitenverwandten. Wenn dies wahr ist, so erhielt es sich doch nicht.
Im Jahre 269 v. Chr. verbot die lex Voconia den Bürgern der ersten Zensusklasse, Frauen
zu Erben einzusetzen, und die feindliche Strömung, die zu diesem im Spätprinzipat nicht mehr
gültigen Gesetz geführt hat, beließ in der Agnatenklasse nur die Schwester (Paul. 4, 8, 20).
Noch wirksamer drückt die Testiersitte denselben Geist aus, der im Osten die Gesetze erfüllt, daß
die Töchter nur auf eine dem Sohneserbteil nicht gleichwertige Mitgift beschränkt werden 2.
Einen Freigelassenen beerben 1. seine sui, 2. der Patron und dessen Abkömmlinge,
aber mit komplizierter Beschränkung des Kreises der Berechtigten ꝰ.
Der Prätor läßt diese legitimi heredes nur unter Einschränkungen an die Erbschaft heran
und läßt im Einzelfall die Klassen und Unterklassen der Erbanwärter hintereinander zur An-
meldung kommen, während das Zivilrecht immer nur gleichzeitige gesetzliche Berufung nach
einem Erbfall ohne Rücksicht auf die praktische Benutzung, keine successio ordinum et graduum
kennt (Ulp. D. 38, 9, 1 pr.; 10). Vom Freigelassenen abgesehen, sind die Klassen, durch Gesetze
ergänzt, folgende: 1. Unde liberi, die kognatischen Abkömmlinge als ein die Agnaten einschließen-
der Kreis (§ 10); ausgenommen z. B. die in Adoption fortgegebenen nicht wieder emanzipierten
Kinder (Gai. 3, 31). Nach der Mutter sind einfach gemäß dem SC. Orphitianum die ehelichen
Abkömmlinge Zivilerben. 2. Unde legitimi, die Zivilerben mit geringen Anderungen, aber
sukzessive nach Ordnungen. Wiederum greift hier seit dem SC. Tertullianum das Erbrecht der
Mutter ein, falls sie das Kinderrecht hat; sie erbt hinter der Klasse unde liberi, dem Vater und
dem Bruder von väterlicher Seite, gleichzeitig mit der Schwester von der väterlichen Seite
(Ulp. 26, 8). 3. Unde cognati, sämtliche kognatischen Verwandten nach ihrem Grade bis zum
6. Grad und den Kindern von Großgeschwisterkindern. 4. Unde vir et uxor, demnach hinter
allen Verwandten erst der Ehegatte.
§ 132. Erbloser Nachlaß und verfallene Anteile. In allerletzter Reihe, praktisch so“
gut wie im BB. ohne Erbrechtsgrenze, wird der Nachlaß erblos (bona vacantia) und dem
Zugriff des Staates" frei. Allerdings vermehren die römischen Machthaber ihre Einkünfte nicht
unbeträchtlich und nicht immer unabsichtlich durch Vermögenskonfiskationen im Anschluß an
Kapitalstrafen (bona damnatorum). Dazu kommen (s. § 128) die bona ereptoria, die dem Erb-
unwürdigen „entrissen“ werden, und namentlich die erledigten Anteile, die vom Erben und
sonstigen Bedachten „abfallen". Durch die Augusteischen Leges Julia et Papia Poppaea erleiden
die allgemeinen Grundsätze sehr einschneidende Ausnahmen. Alles was den testamentarischen
Erben oder Vermächtnisbedachten am Erwerb hindert, macht die Zuwendung an ihn „kaduk",
1 Costa, Bull. 6, 245; Karlowa, RR6. 2, 875.
*: v. Woeß 65 ff.
2 Hierzu und wegen der Bon. possessio Gai. 3, 39—76; und dazu zuletzt Kniep, Gai.
Inst. 3 (1914) 81—125.
Nach Ulp. 28, 7 ist dies wahrscheinlich außerhalb der kaiserlichen Provinzen noch das
Arar; hierzu und wegen der Überweisung der übrigen Güter an den Fiskus Mitteis, P. 353.