Grundzüge des römischen Privatrechts. 531
prätorischen Zwang zur Entschließung zu ersetzen 1. Sonst tritt der Erbe an, indem er den
Willen kundbar macht, Vermögensinhaber zu sein (pro herede gestio Ulp. 22, 26) 7.
Eine solche Erklärung liegt natürlich in dem, wie die Papyri #S zeigen, auch seitens des
Zivilerben gewöhnlichen — ihm ja auch nützlichen — Ansuchen um Erteilung der bonorum
possessio. (C. 6, 30, 12 a. 294).
Sowohl die pro herede gestio als die bonorum possessio ist ursprünglich und noch ihrer
klassischen Grundbedeutung nach persönliche Besitzuahme der körperlichen Erbschaftssachen.
Daher hatten sie einst beide, wenn nicht ihre eigentliche, so doch eine wichtige Wirkung darin,
daß sie die altertümliche Ersitzung unberechtigter Dritter (usucapio lucrativa pro herede) aus-
schlossen; und hieraus leiten sich noch Sätze ab, wie z. B. daß man durch den Erbschaftssklaven
nicht an anderen Erbschaftssachen Besitz erwerben kann ". Daher auch scheint das lnter-
dictum quorum bonorum, auf Grund dessen der vom Prätor Eingewiesene dritten Inhabern
die Erbschaft abnimmt, nur auf körperliche Sachen, nicht auf Einklagung von Forderungen,
gerichtet zu sein 5.
Die sui heredes erwerben seit jeher die Erbschaft unmittelbar und notwendig. Sie
sind von selbst Erben. Hausfremde müssen tätig sein, um Erben zu werden. Dem
suus, der sich von der Erbschaft fernhält, muß der Prätor gegen die Klagen der Erbschafts-
gläubiger helfen (ius abstinendi). Seine Passivität wirkt also wie eine Ausschlagung, ist
freilich keine, denn er bleibt Zivilerbe und braucht keine Ausschlagungserklärung, die Geschäfts-
fähigkeit erfordern würde; im Gegenteil schadet dem Unmündigen die Einmengung in die
Erbschaftsangelegenheiten nichts (Gai. D. 29, 2, 57 pr.). Der extraneus benötigt seinerseits
die Unterstützung der Rechtsordnung, damit ihm der leere Zwischenraum zwischen seiner Be-
rufung und dem Erwerb (hereditas jacens) nicht schädlich werde. Zwei Systeme! Beide
langen nicht ohne Künstlichkeiten aus. Das BGB zieht die altertümliche Ordnung vor, es
erspart durch die Unmittelbarkeit der Erbfolge die ruhende Erbschaft, aber es muß das Aus-
schlagungsrecht offen halten (§ 1942) und hat daher Fiktionen nötig (§5 1953), die genau das
Widerspiel der römischen sind. Um den Schwebezustand kommt keine Rechtsordnung herum.
Soll man es tadeln, daß die Römer in ihrer vorgeschritteneren Ordnung es dem Berufenen
überlassen, ob er von dem Erwerbsrecht Gebrauch machen will und ihn nicht unangenehmen
Weiterungen aussetzen, wenn er eine Ausschlagungsfrist aus irgendwelchen Gründen ver-
säumt? Vielleicht entspräche das auch unserem Empfinden besser. Es handelt sich nur
darum, die übrigen Interessenten nicht zu lange im ungewissen zu lassen, wer Erbe ist. Da-
für sorgen die Römer freilich nicht sehr vollkommen. Ehemals diente dazu das gewaltsame
Mittel der schnellen Ersitzung der Erbschaft durch den nächsten Beikommenden. Der Prätor
läßt dann die eventuell Berufenen nacheinander in den Gruppen der bonorum possessores
antreten. Doch dauern die Fristen lange. Auch ist die Anmeldung zur Einweisung häufig
nicht nötig und ohne sie der Antritt für Dritte schwer beweisbar. Den Gläubigern der Erbschaft
1 Anders Lenel, a. a. O. 137.
2 Bestritten ist, ob für die Klassiker der Antritt nuda voluntate (Gai. 2, 167) eine dritte Art
sei, Perozzi, Ist. 2, 507 verdächtigt sogar den Text. — Über den Antritt durch Personen in
Sklavenstellung bestand in Rom eine Kontroverse, vgl. Pomp. D. 41, 1, 19, die neuestens von
P artt sche Negot. gestio 95 N. 5 und Berger, Philologus 73, 80 N. 49 verschieden be-
urteilt wird.
2 P. Giss. Inv. 40, ed. Eger, ZSavöSt. 32, 378 a. 249 und P. Oxy. 1201 a. 258 zeigen
die von Theoph. Paraphr. Inst. 3, 9, 10 geschilderte Formel: rogo domine des mibi bonorum
possessionem matris meae (patris mei) etc.; Erwähnungen in Steuererklärungen P. Oxy. 1114
a. 237; P. Amh. 72 -Bruns-Gradenwitz n. 125 a. 246. Bon. poss. und hereditas
werden dabei offenbar gar nicht auseinandergehalten: P. Orxy. 1114: profiteor hereditatem seu
bonorum possessionem. — Cretio a. 170 ed. Seymour de Ricci und Girard, Nouv.
rev. 1906, 479 = Bruns n. 124.
* Paul. D. 41, 2, 1, 16; Mitteis, 3Savöt. 32, 4.
5 Paul. D. 43, 2, 2; dazu zuletzt Biondi, La leggitimazione processuale nelle azioni
divisorie rom. 1913, 29.
" Freilich sind gesetzestechnisch auch andere Konsequenzen eingeschlossen, wie die Ber-
erblichkeit der Berufung und die Bestimmung der eventuell berufenen Personen nach dem Zeit-
punkt des Erbfalls.
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