532 Ernst Rabel.
sucht daher das Edikt de jure deliberandi gerecht zu werden 1. Die Gläubiger rufen den prä-
sumtiven Erben vor den Magistrat und befragen ihn dort, ob er Erbe sei. Auf Verlangen
erhält er eine Uberlegungsfrist (D. 28, 8, 1, 1). Nach deren fruchtlosem Ablauf wiederholt
sich das Verfahren gegen die Nächstberufenen so lange, bis ein Erbe da ist oder die Erbschaft
erblos erscheint und den Gläubigern zum Verkauf überlassen wird. Bei Widerspenstigkeit der
Erben muß irgendwie geholfen sein. Doch scheint es jedenfalls ein langwieriges Verfahren.
Wenn unsicher ist, ob jemand als Erbe berufen sein wird, z. B. die zufällige Bedingung seiner
Einsetzung oder seiner Freiheit schwebt, werden die Gläubiger in den vorläufigen Sicherungs-
besitz gewiesen und nach Umständen ein Kurator mit dem Verkauf der Sachen und der Be-
zahlung der Schulden beauftragt, nach Analogie der Güterpflege, die zugunsten ungewisser
Erben selbst stattfindet, speziell der in den Besitz gewiesenen ungeborenen Leibesfrucht und
des Mündels, das keinen Vormund hat2.
§ 135. Das Recht aus der Berufung des Hausfremden ist eine persönliche Befugnis,
die Erbschaft anzutreten. Sie erlischt mit seinem Tode (hereditas non adita nec transmittitur,
Just. C. 6, 51, 1, 5) und jeder nachträglichen Erb= oder Erwerbsunfähigkeit. Sie erlischt
natürlich auch durch eine etwaige Ausschlagungserklärung (repudiatio) und durch das Ver-
streichenlassen der Frist zur Kretion. Die prätorische Berücksichtigung entfällt mit der Frist
zur adgnitio der bon. possessio, vermutlich 3s ebenso des spatium deliberandi. Ausnahmen
werden vor Theodosius nur im Wege außerordentlicher Billigkeitshilfe mit in integrum resti-
tutio zugestanden. Auch diese wird zunächst nur gewährt, wenn sie schon dem verstorbenen
Berufenen selbst gegen den Verlust der Delation gebührt hätte (Ulp. D. 4, 1, 6 u. a.), doch
nach einem Vorgang des Kaisers Pius zuletzt auch, wenn der Berufene bei seinem Tode noch
eine Zeit für die Antretung gehabt hätte und ein Restitutionsgrund, z. B. seine oder des Vor-
munds Abwesenheit in Staatsgeschäften die Verzögerung bis dahin rechtfertigt #. Umgekehrt
wird die Befugnis des suus, der Erbschaft fernzubleiben, wenigstens seinem eigenen suus
heres zugesprochen (Paul. D. 29, 2, 7, 1). Darin liegt immerhin ein Anfang des Trans-
missionsgedankens, der nachklassisch aufkeimt.
Die persönliche Natur der Berufung hindert zufolge alten Rechts nicht den Intestat-
erben, vor dem Antritt seine Erbschaft einem Dritten insgesamt, mit Aktiven und Passiven,
abzutreten (Gai. 2, 34 f.; 3, 85—87; Ulp. 19, 12—15). Da von dieser Ausnahme keine
Analogie versucht wird, ist sie nur historisch aus dem einstigen Agnatenrecht zu erklären, das
nicht so stark und unmittelbar wirkte wie das der sui, aber kräftig genug, um sofort mit dem
Erbfall eine veräußerliche Macht zu geben und denn auch die Abtretung der Tutel über die
unmündigen und weiblichen Abkömmlinge des Verstorbenen erlaubt.
* 136. Nuhende Erbschaft 5. Wie immer die Erbfolge gestaltet ist, ob mittelbar wie
für den römischen extraneus oder unmittelbar wie nach BGB., ergeben sich Schwebezustände:
normal solange allgemein Annahme oder Ausschlagung noch freistehen, abnorm, wenn der
berufene Erbe ungewiß ist — z. B. ungeborene Leibesfrucht, statuliber, bedingt eingesetzter
Erbe — oder nicht geschäftsfähig, z. B. ein Unmündiger, der keinen Vormund, ein Sklave,
der keinen Herrn hat. Der römische Ausgangspunkt ist sehr einfach und in einer Zeit, die den
1 Dedekind, Das Deliberationsrecht des Erben usw. 1870, dem die meisten folgen;
Lenel, Ed. 5 208; Solazzi, Spatium deliberandi, Catania 1912 mit neuen Aufstellungen,
die teilweise Bedenlen erregen. Die Texte scheinen allerdings interpoliert zu sein, die obige
Darstellung berücksichtigt daher nur das Wahrscheinlichste.
So nach den sichersten Stellen: dem Edikt (Lenel 402) si diu incertum sit, D. 42, 4,
8, und Pomp. D. 28, 5, 23 5# 2, 3 let maxime — imminet m. E. itp.], wonach die Parallel=
stelle Paul. D. 42, 7, 1, 1 zu korrigieren ist (falsch Mommsen, gegen dessen Konjektur schon
Lenel, Pal. Paul. 705—707). Vgl. Lenel, Ed. 5F 224.
Es wird trotz Ulp. D. 29, 2, 69 a. E. von Solazzi 7 bestritten und ist in der Tat
nicht so ganz sicher.
4 D. 29, 2, 30 pr. und 86 pr.; Lit. zu l. 86 bei Samter, Nichtförmliches Gerichtsver-
fahren 18; im letzten Satze ist vielleicht humanitatis gratia nur allein itp.
* Steinlechner, Das schwebende Erbrecht und die Unmittelbarkeit der Erbfolge, 1893,
1897 mit Lit.; Fadda, Conc. fondam. 2, 1.