Grundzüge des römischen Privatrechts. 533
Agnaten keinerlei Mitrecht bei Lebzeiten des Hausvaters zugesteht, beim Fehlen von sui
heredes mit Selbstverständlichkeit gegeben. Die Sachen des Verstorbenen sind herrenlos und
in niemandes Besitz, sine domino. Dies blieb stets die Grundlage. Res bereditariae, ante-
duam aliquis heres existat, nullius in bonis sunt, Gai. D. 1, 8, 1 pr. Infolgedessen war bis
in das 2. Jahrhundert n. Chr. die usucapio pro herede für jeden Bürger, der sich die Erbschaft
aneignet, möglich. Dauernd bleibt ein Diebstahl an Erbschaftssachen ausgeschlossen, so lange
bis der heres extraneus wirklich Besitz ergriffen hat (Gai. 3, 201), es hätte denn ein Dritter
die Detention (Marc. u. Scaev. D. 47, 2, 69—71) 1. Daher ist seit Marc Aurel (D. 47,
19, 1) das besondere Delikt des Crimen e xpilatae hereditatis geschaffen, um der „unredlichen
Usukapio“ die letzte Lebenskraft zu entziehen. Auch neuere Konsequenzen werden bisweilen
noch aus dem Prinzip abgeleitet (z. B. D. 31, 55, 1 (Text freilich unechtl; Paul. Vat. 55
u. Hermog. D. 41, 1, 61, 1), aber nicht ohne praktische Gründe. Die Juristen erkennen ihre
Aufgabe, die Erbschaftsmasse als lebensfähigen Verwaltungsgegenstand zu erhalten und dem
später eintretenden Erben die Brücke zum Erblasservermögen zu bauen. So sind nach und
nach einzelne praktische Fragen erledigt worden. Die Erbschaft vermehrt sich von selbst durch
Sklavenkinder, Tierjungen, Pachtzinse, die dem Bodeneigentümer gehörige Schatzhälfte. Eine
begonnene Ersitzung läuft fort. Der Erbschaftssklave kann als Erbe eingesetzt werden (Lab.
in D. 28, 5, 65 u. a.) und Legat erhalten, er erwirbt für die Masse, er kann sogar Stipulationen
schließen, zwar nicht für einen namentlich genannten Erben (Paul. D. 45, 3, 16; 2, 14, 27,
10 (sed — potest itp. 3), aber „für den künftigen Erben“ (Cass. u. wohl Gai. gegen Proc.
D. 45, 3, 28, 4 sa. E. itp.); Pap. D. 45, 3, 18, 2), Forderungen erlassen (Paul. D. 46, 4,
11, 2); er macht auch den Erben mit actio de peculio haftbar. Ein Bürge kann für eine
Erbschaftsschuld eintreten (Flor. D. 46, 1, 22). Dem Erben erwachsen aus den Ereignissen
während des Ruhens Deliktsansprüche.
Während nun eine Klage gegen einen im Testament freigelassenen Sklaven wegen Dieb-
stahls und Sachbeschädigung eigens vom Prätor aufgestellt ist (Lenel § 135), die actio in-
juriarum wegen Verletzung des Leichnams, des Grabes oder der Sklaven aus besonderer Rück-
sicht herworgeht und der praktisch bedeutsamste Fortschritt: eine negotiorum gestio für den
Erben anzuerkennen, eigentlich keine erbrechtliche Konstruktion braucht, sobald eine Geschäfts-
führung für eine incerta persona als denkbar gilt (vgl. aber Paul. D. 3, 5, 20, 1 lwie weit
echt?)) — bedürfen die obigen Entscheidungen einer theoretischen Rechtfertigung. Zu diesem
Zweck wagen die Juristen verschiedene Versuche, leichtgezimmerte Hilfsbauten, die ganz ihrem
Wesen zuwider von den Gemeinrechtlern als tiefgründige Fundamentaltheorien angesehen
wurden. Beis ins 2. Jahrhundert behilft man sich gern mit der Fiktion, daß der Erbe, sobald
er angetreten hat, nachträglich als vom Erbfall ab sukzessierend gelte (Cass. in D. 45, 3, 28, 4;
Pomp. (7) D. 46, 2, 24; Flor. D. 29, 2, 54). Später wird die Anschauung Julians (in D.
41, 1, 33, 2) beliebter, daß die Erbschaft ihre werbende Kraft vom Erblasser her beziehe und
dogmatisch dahin formuliert, daß sie nicht die Person des Erben, sondern diejenige des Erb-
lassers vertritt (sustinet); Gai. D. 28, 5, 31, 1; Marc. in D. 41, 3, 15 pr.; Ulp. D. 41, 1, 34.
Einige Male wird auch die Erbschaft selbst juristischer Beziehungen für fähig gehalten (Paul.
D. 3, 5, 20, 1; Mod. D. 45, 3, 35), aber nie für ein aktuelles Vermögenssubjekt. Die von
Justinian bevorzugte Vorstellung, die ruhende Erbschaft sei eine juristische Person, ist den
Klassikern völlig fremd 3.
§ 137. Miterben gelten stets als auf die ganze Erbschaft berufen, so daß nur ihr Zu-
sammentreffen in dem vom Gesetz oder Testator geregelten Maße Quoten herstellt. Die
1 Subtil hierüber Steinlechner 137 u. Zit.
aruck 2 irtondi, pactum de non pet. 27 verdächtigt auch „nominatim“, doch nur dem Aus-
ruck na
tp. D. 9, 2, 13, 2 ldominus — habebiturl; 28, 5, 31, 1 Ldominam essel; 43, 24, 13,
5 lecs it — optinetl; 41, 3, 15 pr. Inam — usu ionem); 46 t 22 Lquia — societasl; 47,
4, 1, 1 (hoc — contrectaveritj vermutlich auch Dioel, C. 4, 34, , 2 vielleicht die viel weni-
ger verfängliche Stelle D. 46, 4. 11, 2 Lut — liberetur!. Das meiste sah Perozzi, Ilst. 2 399
5. Mehrfach abwegig Di Marzo, St. Scialojss 2, 51. — Manigk, Realenz. 8 , 626
will Ulp. D. 41, 1, 34 nicht auf die ruhende Erbschaft beziehen; das Fr. handelt aber offenbar
de hereditate censenda, Lenel, Ulp. 23.