Grundzüge des römischen Privatrechts. 535
zwecken; schon im Jahre 239 gilt wenigstens das als entschieden, daß die dos profecticia gegen-
über allen Geschwistern zu konferieren sei (C. 6, 20, 4).
§ 138. Schutz des Erbrechts. Dem Zivilerben stehen die einzelnen dinglichen und
persönlichen Klagen zu, die der Erblasser hatte (iudicia singula), außerdem aber von alters
her die Erbschaftsklage, hereditatis petitio 1, eine Vindikation des Nachlasses im ganzen, wie
der Eigentümer seine Sache vindiziert. Die Klage richtet sich auf alles, was der Beklagte
aus dem Nachlaß hat: die körperlichen Sachen, die der Erblasser besaß oder innehatte, natür-
liche und Zivilfrüchte, Erwerb der Erbschaftssklaven, eingelaufene Zahlungen und was sonst
die ruhende Erbschaft vermehren würde, aber auch was der Beklagte aus den Mitteln der
Erbschaft erwarb, den Kaufpreis für veräußerte Erbschaftssachen und die mit Erbschaftsgeld
gekauften Sachen, kurz den Bestand des als Einheit gefaßten, sich durch Surrogation ver-
ändernden Erbschaftsvermögens (vgl. BGB. F 2019). So die spätklassische, namentlich durch
das SC. luventianum a. 129 geförderte Auffassung. Einstmals wird ja die herecitas sich
ziemlich in den körperlichen Res hereditariae erschöpft haben und Erbschaftsbesitzer war deren
Eigenbesitzer. Jetzt aber ist der Erbschaftsbesitz, der zur Passivlegitimation des Beklagten
gehört, wenn nicht terminologisch, so doch sachlich ein Rechtsbesitzz. Auch der Erbschafts-
schuldner, der die Leistung verweigert, kann possessor hereditatis sein. So steht wohl
analog der rei vindicatio Recht gegen Faktum. Passend fügt sich diesem Gedanken ein,
daß ein tauglicher Beklagter ist, wer selbst Erbe zu sein glaubt oder nach klassischer Ent-
scheidung ihm gleichstehend (Ulp. D. 5, 3, 11), wer schlechtgläubig Erbe zu sein behauptet, der
pro herede possidens. Mit ihm wird um das Erbrecht allein gestritten und ihm wird doch
damit gleichzeitig der Titel abgestritten, der seiner ganzen Nachlaßinhabung zugrunde liegt.
Die Singularklagen werden dadurch nicht ausgeschlossen, aber solange die Frage nach dem
eigenen Erbrecht des Beklagten nicht mit der Litiskontestation (Jul. D. 44, 1, 13) im Erb-
schaftsprozeß voll aufgerollt ist, werden Singularprozesse nicht durchgeführt, wenn sie dem.
Erbschaftsstreit präjudizieren 3. Dies letztere ist für uns nicht recht durchsichtig. Wir denken
begreiflicherweise am ehesten an die Vorteile des klassischen gutgläubigen Erbschaftsbeklagten,
die ihm die Singularklage nehmen würde, aber das ist wahrscheinlich aus vielen Gründen
falsch; die Römer reden denn auch davon nicht, sondern von der Autorität des die hereclitatis
petitio entscheidenden Zentumviralgerichtshofs (Ulp. D. 5, 3, 5, 2; Just. C. 3, 31, 12 pr.),
dem ein anderer Richter nicht vorgreifen darf, oder vom unzulässigen Plagen mit (gehäuften)
Singularklagen (Ulp. D. 5, 3, 13, 4). Immerhin ist hier das Verhältnis zu den Einzelklagen
klar abgesteckt. Die her. petitio ist aber auch gegen den pro possessore possidens zulässig
(Ulp. D. 5, 3, 11, 1; 13), der auf die Frage, warum er besitze, antworten würde: weil ich
besitze (Ulp. D. 5, 3, 12 für das Rechtsmittel des bon. possessor), also der, ohne für seine
Vorenthaltung einen besonderen und gültigen (I. 13 § 1; D. 4, 2, 14, 2) Rechtsgrund an-
zuführen, das Erbrecht des Klägers bestreitet. Dieser etwas rätselhafte Gewaltmensch (praedo)
dürfte mit dem einstigen in titelloser Erbschaftsersitzung begriffenen eigenmächtigen Okkupanten
identisch sein", dessen Ersitzung freilich just usucapio pro herede hieß. Schaden mochte es
auf keinen Fall, gegen einen titellosen Inhaber die Klage gelten zu lassen, die die ganze Erb-
1 Dernburg, über das Verhältnis der Hereditatis petitio zu den erbschaftl. Singular-
klagen 1851; Francke, Exeget.-dogm. Kommentar über den Pandektentitel de her. pet. 1864;
Leist- Glück 37/38 I; Fittin g, Arch Ziv Prax. 52, 239; Pfersche, Privatr. Abh. (1886)
254;:2ammfrom m, Zur Gesch. der Erbschaftsklage 1887; R. Leonhard, Der Erbschafts-
besit 1899; W. Stin ging Beitr. z. röm. Rechtsg. (1901) 62; Bruns, diese Enzykl. 425;
Leinwe ber , Die Her. pet. 1899; A. Starke, Der beiit bei der Erbschaftskla e 1905,
mit sonst. Lit.; Naber, Mnemosyne 40 (1912) 389 (bes. zu 5, 3, 5 pr. itp.). Über die
Haftung des Erbschaftsbesitzers vor dem SC. Iuvent. als negotiorum gestor und spätere Nach-
klänge Appleton, Nouv. rev. 1900, 731.
Für die Echtheit der luris possessio (s. Stellen bei Seckel, HWB. S. 441) auch in
sormaler Hinsicht Lenel, Ed. 173; dagegen, zu radikal, Di Marz - St. Moriani 2, 23, dem
Perozzi, Ist. 522 N. 3 folgt.
2 Praescriptio: ea res agatur, si in es re praeindicium hereditati non fiat, Gai. 4, 133;
um prozessualen Sinn bes. Wlassak, ZSav t. 33, 81, aus dessen vielfachen Anregungen
sch verlleicht auch endlich eine “ Erklärung ergeben wird.
4 Leist-Glück, 37/38, 1