50 I. Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte.
Go---nin-kumi und Kashira, angelegt. Aber auch im germanischen Leben hat diese
Gemeindeverfassung wesentlich dazu beigetragen, die Macht der Geschlechter zu brechen, die
allerdings lange Zeit als ein engerer Verband, als ein Staat im Staate mit besonderen Vor-
rechten sich zu halten suchten, dann aber zuletzt weichen mußten.
Je mächtiger sich im Territorialstaat die Mannigfaltigkeit entwickelt, je mehr sich diese
auf der anderen Seite mit einer gewissen gemeinsamen Denkungsweise verbindet, um so reicher
wird die Kultur sein, die der Staat entwickelt. Wir brauchen zur Kultur viele und verschieden-
artige Begabungen; wir brauchen aber auch wieder ein gemeinsames geistiges Fluidum, in
dem diese Begabungen sich vereinen und zusammenwirken. Die Bedingung eines gesunden
Staatslebens ist die Assimilierung verschiedener mit Eigenkraft wirkender sozialer Elemente.
§ 40. Staat als eine Verwirklichung der sittlichen Idee.
Diese Entwicklung der Staates gibt auch seine Rechtfertigung: der Staat muß sein,
weil nur in einer solchen Gemeinschaft die menschliche Kultur sich entwickeln kann, weil, wenn
die Menschen als Einzelne sich zerblättern, alle Errungenschaften menschlichen Geistes zugrunde
gehen. Die Verbindung muß eine autoritative, machtvolle sein, wenn überhaupt die Kultur-
aufgaben gegen die Umsturzmächte bestehen bleiben sollen, und ebenso muß die Verbindung
eine dauernde und folgerichtige sein, wenn nicht unsere Kulturentwicklung ständig den größten
Schwankungen unterliegen soll. Auf diese Weise ist der Staat eine Verwirklichung göttlichen
Geistes, die Verwirklichung der in der Weltgeschichte tätigen Kulturmächte und Gewalten 1.
Dies, was das Wesen des Staates betrifft. Wie sich die Staaten im einzelnen entwickeln, ist
Sache des Waltens geschichtlicher Kräfte, wobei allerdings Volksgeist und Volksbewußtsein
eine große Rolle spielen. Ob ein Volk Personen erzeugt, welche eine mächtige Häuptlings-
stellung einnehmen können, ob das Volk Geschmeidigkeit genug besitzt, um sich dem Häuptling-
tum zu fügen, das hängt natürlich nicht nur von den äußeren Geschichtsverhältnissen, sondern
auch von dem Volkscharakter und dem Bildungsgange des Volkes ab?.
Im übrigen hat die Anschauung von der Bedeutung und Rechtfertigung des Staates,
seitdem man darüber nachdachte, wesentliche Wandlungen durchgemacht. Am tiefsten und
vernünftigsten hat im Altertum Aristoteles die Sache erfaßt, und sein Werk über die
Politik bietet noch dem jetzigen Leser eine Fülle von Belehrung, ist auch für die mittelalter-
liche Weltanschauung von entscheidender Bedeutung gewesen. Allerdings trat im Mittelalter
die christliche Idee der Gottesherrschaft auf, und da Staat und Kirche als göttlich erschienen,
so entwickelte sich die berühmte Frage, ob der Staat unmittelbar von Gott eingesetzt sei, oder
ob er erst der Kirche seine Autorität zu verdanken habe. Es war dies die Frage, welche das
ganze Mittelalter seit Gregor VII. beherrschte und auch nachträglich nicht völlig zur Ruhe kam.
Die Kirche beanspruchte die alleinige unmittelbare Göttlichkeit und erklärte, daß der Staat
seine Rechte von der Kirche herleite, ebenso wie der Mond sein Licht von der Sonne. So ent-
stand die Theorie der zwei Schwerter, indem die Kirche zwei Schwerter habe, von denen sie
das eine dem Staat übergebe, usw.: die Kirche leitete daraus die Befugnis ab, die kaiserliche
Macht zu beaussichtigen und nötigenfalls den Kaiser abzusetzen. Der prägnanteste Ausdruck
des Kurialismus war die berühmte Bulle Unam sanctam von Bonifaz VIII., den Dante
stets in der leidenschaftlichsten Weise bekämpft hat. Hier entbrannte der Kampf auf der ganzen
Linie, und Männer wie Dante, überzeugte Ghibellinen, suchten mit aller Macht die Selb-
ständigkeit des Staates gegenüber der Kirche zu verteidigen: ihn dürfe die Kirche nicht ver-
sehren, denn er gehöre mit zu den Lebensbedingungen der Menschheit. In seinem unsterb-
lichen Poem spricht er diese Idee vielfach aus; außerdem schrieb er eine Schrift, „De Monarchia“,
in der er diese Frage ausführlich entwickelte 3 Weiter ging ums Jahr 1324 Marsilius
von Padua, der Leibarzt Kaiser Ludwigs des Bayern, der umgekehrt eine Oberherrschaft des
Staates über die Kirche verteidigte, ganz im Sinne der streitbaren Persönlichkeit des Kaisers,
für den er schrieb.
1 Über den Begriff des Staates vgl. Einführung S. 120, Lehrb. der Rechtsphil. S. 142.
Über die Staatsverfassung vgl. Lehrb. der Rechtsphil. S. 159, Einführung S. 125.
* Vgl. hierüber meine Schrift: Dante als Prophet S. 52 f.