78 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Dörfern oder Marken verstreuten Höfen zusammensetzte, die im Verbande der Dorf- oder Mark-
genossenschaft verblieben. Den wirtschaftlichen Mittelpunkt der einzelnen grundherrlichen
Betriebseinheit bildete der Herrenhof, Salhof, später Fronhof, den der Herr oder der von ihm
eingesetzte Verwalter bewohnte, und an den die schuldigen Abgaben oder Dienste aus den ab-
hängigen Höfen zu leisten waren.
Die Ausbildung großen Grundbesitzes wurde aber in ihren wirtschaftlichen Folgen sofort
wieder ausgeglichen durch die Entstehung zahlreicher Leiheverhältnisse, welche die unmittelbare
Nutzung unter viele einzelne verteilten. Die großen Grundherren gaben nämlich einen nam-
haften Teil ihrer Ländereien, zum Teil schon durch den Mangel genügender unfreier Arbeits-
kräfte hierzu gedrängt, als Leihegut aus. Das Leihegut tritt in zwei Grundformen aus, die auf
Jahrhunderte hinaus die agrarischen Verhältnisse Deutschlands beherrschen. Die eine ist das
Zinsgut, oftmals ein Leiheverhältnis niederer Ordnung, das sich durch die wirtschaftliche Ab-
hängigkeit von einem Herrenhofe und durch die Art der Zinse und Dienste als solches charakteri-
siert. Die andere ist das Lehen (im modernen Sinne des Wortes), ein Leiheverhältnis höherer
Ordnung, welches öffentlichrechtlichen Zwecken seine Entstehung verdankt und den Beliehenen
zu öffentlichrechtlichen, insbesondere militärischen Diensten heranzieht. Beide Besitzformen
wirken zusammen, um durch die Aufteilung der Bodenrente die germanisch-romanische Welt
vor den krassen gesellschaftlichen Gegensätzen zu bewahren, wie sie im römischen Reiche zur Zeit
seines Verfalles vorhanden waren.
Hand in Hand mit der Umwandlung der Besitzverhältnisse geht eine Zersetzung der bis-
herigen Ständegliederung. Innerhalb des Kreises der Freien entstehen persönliche Schutz-
und dingliche Abhängigkeitsverhältnisse. Schutzbedürftige Freie begeben sich als Mundmannen
in die Schutzherrschaft eines Mächtigen, der sie vor Vergewaltigung schützen und im Bedürfnis-
fall vor Gericht vertreten soll. Sie bezahlen den gewährten Schutz mit fixen Zinsen oder Diensten
und gelten infolge solcher Standesvormundschaft nicht mehr für vollfrei. Neben diesem Vogtei-
verhältnis niederer Ordnung entsteht in der Vassallität ein Schutz- und Dienstverhältnis höherer
Ordnung, das zwischen freien Leuten ohne Schmälerung ihrer Standesrechte eingegangen
werden kann. Zu einer Minderung der vollen Freiheit führte die Annahme eines wirtschaft-
lich abhängigen Zinsgutes, wenn, was schließlich als selbstverständliche Folge galt, der im übrigen
besitzlose Hintersasse in ein Schutzverhältnis zum Grundherrn gelangte, aus welchem dem Herrn
Dritten und der öffentlichen Gewalt gegenüber eine dauernde Haftung für den Hintersassen
erwuchs.
Während ein Teil der Freien unter das Niveau der gemeinen Freiheit hinabsank und
die Kluft zwischen Freiheit und Unfreiheit ausfüllen half, stieg ein anderer Teil über den Stand
der Gemeinfreien empor. Es entwickelten sich nämlich die Ansätze eines neuen Adels, dessen
Entstehungsgrund der Königsdienst war. Dieser gab höhere Rechte, zumal höheres Wergeld,
mochte er nun durch UÜbernahme eines königlichen Amtes oder durch Eintritt in die königliche
Gefolgsgenossenschaft begründet werden. Mit dem Erblichwerden dieser und analoger Ver-
hältnisse sind alle Merkmale des höheren Standes gegeben. In den Volksrechten der meisten
Stämme finden wir einen Geburtsadel, dessen Mitglieder (nobiles, adalingi) ein höheres Wer-
geld genossen, als die Gemeinfreien (ingenui, liberi). Bei den Franken war der Adel auf das
Königsgeschlecht beschränkt. Bei den übrigen Stämmen ist er entweder völlig oder zum Teil
in den königlichen Dienstadel aufgegangen.
Der Gegensatz zwischen Freien und Unfreien erlitt auch von unten her eine allmähliche
Abstumpfung, indem die Knechte schlechtweg einer beschränkten Rechtsfähigkeit teilhaftig wurden
und einzelne Klassen von Knechten eine der Halbfreiheit verwandte Stellung erlangten oder
geradezu in den Stand der Halbfreien aufrückten. Eine rechtlich bevorzugte Stellung gewannen
die servi casati oder mansionarü, Knechte, die auf einer Hufe des Herrn angesiedelt waren, ohne
diese Hufe vom Herrn nicht veräußert werden konnten und daher zu den Immobilien gezählt
wurden. Knechte höheren Ranges waren die Ministerialen, vassi, pueri. Unfreie, die in der
persönlichen Umgebung des Herrn dienten, insbesondere eines der vier gebräuchlichen Haus-
ämter, des Truchsessen, Kämmerers, Schenken und Marschalls, versahen. Derjenige von
ihnen, der zugleich die Oberaufsicht über die Hausverwaltung führte, wurde als Seneschall
(maior domus) bezeichnet. Nicht selten pflegten die Herren solche Knechte, die ihre persönliche