80 1I. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
und Verordnungen, welche fränkische Rechtsbegriffe und Einrichtungen außerhalb der fränkischen
Stammesgebiete zur Anwendung brachten, wirkte die Rechtsprechung des fränkischen Königs-
gerichtes uniformierend und machten die zahlreichen Franken, die als missi, als Grafen oder
königliche Gutsverwalter oder als geistliche Würdenträger in den nichtfränkischen Reichsteilen
tätig waren, bewußt oder unbewußt ihren Einfluß zugunsten des fränkischen Rechtes geltend.
Trotz der Anfänge einer auf vorwiegend fränkischer Grundlage sich ausbildenden Rechtseinheit
ist es jedoch der Rechtsentwicklung innerhalb des fränkischen Reiches mit nichten gelungen, den
Gegensatz der Stammesrechte zu überwinden.
Die Fortbildung des Rechtes erfolgt zum Teil als eine gewohnheitsrechtliche, zum Teil
im Wege der Satzung. Das Recht, das der Teilnahme des Volkes an der Rechtsprechung und
Rechtssatzung seine Entstehung verdankt, nennen wir Volksrecht. Das Königtum übte nicht
nur das Recht der Mitwirkung an der volksrechtlichen Satzung, die nicht selten aus der Initiative
des Königs hervorging und in seinem Namen erfolgte, sondern der König wurde auch zu einem
selbständigen Faktor der Rechtsbildung. Im Wege der Verwaltungspraxis und königlichen
Verordnung setzten sich neue Rechtssätze und Rechtseinrichtungen durch, die in den Volks-
gerichten mit Hilfe der richterlichen Amtsgewalt zur Anwendung gebracht wurden. In der
jüngeren rechtsgeschichtlichen Literatur pflegt man diese Neuerungen, weil sie in der Amts-
gewalt des Königs und seines Beamtentums ihren Ausgangspunkt haben, zur Unterscheidung
vom Volksrechte als Königsrecht zusammenzufassen. Zum Teil ergänzen sie das Volksrecht,
zum Teil widerstreiten sie ihm, zum Teil treten sie zunächst in Konkurrenz mit entsprechenden
Einrichtungen des alten Volksrechtes, um sie schließlich zu verdrängen. Vielfach ist das Königs-
recht im Laufe der Zeit kraft Gewohnheitsrecht oder Satzung in das Volksrecht übergegangen.
Am weitesten gedieh die Entwicklung des Königsrechtes im Königsgerichte, wo durch die außer-
ordentliche Gerichtsgewalt des Königs eine Anzahl von Institutionen geschaffen wurde, die
den Volksgerichten als solchen versagt blieben.
§ 13. Die Rechtsdenkmäler. Reichlich fließt in dieser Periode die Quelle des geschriebenen
Rechtes. Allenthalben erweckten die neuen Lebensverhältnisse das Bedürfnis, neues Recht
zu setzen und das bestehende Gewohnheitsrecht aufzuzeichnen. Den entscheidenden Anlaß zur
schriftlichen Fixrienung des Rechtes gab die Einwirkung der christlich-römischen Kultur. Darum
setzt auch bei den Stämmen, die zuerst mit ihr in dauernde Berührung traten, die Aufzeichnung
des Rechtes am frühesten ein. Unter den Rechtsquellen dieser Zeit sind zu unterscheiden: die
Leges, auch Leges barbarorum, von den Neueren Volksrechte genannt, die Verordnungen der
fränkischen Könige und Hausmeier, die Formelsammlungen und Urkunden.
1. Die Leges sind bestimmt, das Stammesrecht in sich aufzunehmen. Zum Teil
stellen sie sich als Satzungen, zum Teil als Ergebnis von Rechtsweisungen über geltendes Ge-
wohnheitsrecht dar. Die Satzung und Fixierung des Rechtes geht entweder vom Volke aus
oder sie geschieht doch, wo nicht, wie bei gewaltsam unterworfenen Stämmen, Ausnahme-
verhältnisse vorliegen, unter Beteiligung des Volkes. Denn der König ist an sich nicht befugt,
das Recht des Stammes einseitig zu ändern. Doch wächst mit der steigenden Gewalt des König-
tums der Anteil, den es an der Satzung und Aufzeichnung der sogenannten Volksrechte nimmt.
Der Inhalt der Leges ist zum großen Teil strafrechtlicher und prozeßrechtlicher Natur; einen
Hauptbestandteil bilden die Bußbestimmungen. Ubrigens wollen die Volksrechte den Rechts-
zustand nicht in erschöpfender Weise darstellen, sie setzen einen großen Teil des geltenden Rechtes
als bekannt voraus und beschränken sich auf jene Rechtssätze, zu deren Fixierung ein besonderer
Anlaß vorlag. Bei den meisten Stämmen hat der Inhalt der ursprünglich abgefaßten Lex
hinterher durch neue Satzungen Zusätze erhalten, Anderungen erlitten.
Von den deutschen Volksrechten kommt als das älteste und altertümlichste das der salischen
Franken, die Le N Salica, in Betracht. Nach den Prologen zum salischen Volksrechte hat
bei den salischen Franken eine Satzung und Aufzeichnung des Rechtes bereits in der Zeit vor
Chlodowech stattgefunden. Allein die aus den ältesten vorhandenen Texten ersichtliche Grund-
gestalt kann die Lex erst erhalten haben zu einer Zeit, da die Franken zum Teil schon christiani-
siert waren, so daß Christentum und Heidentum, die in den Rechtssätzen gleichmäßig ignoriert
werden, sich in der Masse des Volks noch gegenseitig die Wagschale hielten, da das fränkische