Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 81 
Reich sich bereits unter der Herrschaft eines Königs befand und an das Reich der West- 
goten grenzte, und nachdem nicht lange vorher eine Münzreform stattgefunden hatte, kraft 
deren 40 Denare auf einen Solidus gingen, Anhaltspunkte, welche die Zeit vor Chlodowech 
ausschließen, unter dem sie in den Jahren 508—511 entstanden sein dürfte. Einzelnen Stellen 
und Rechtssätzen der Lex liegt die Benutzung der Gesetze des Westgotenkönigs Eurich zugrunde. 
Die alteren Texte enthalten die sogenannten malbergischen Glossen, Einschiebsel von alt- 
fränkischen Wörtern, die dem lateinischen Texte der Lex nachträglich eingefügt wurden, um 
ihn durch Ausdrücke zu erläutern, wie sie bei Gericht (in mallobengo) üblich waren. Der Inhalt 
der Lex wurde, abgesehen von der gewohnheitsrechtlichen Umbildung des altsalischen Rechts, 
vielfach durch jüngere Satzungen ergänzt oder verändert, die mit dem alten Texte zu verbinden 
in aller Regel den Abschreibern der Handschriften überlassen blieb. 
Die Lex Ribuaria, das Volksrecht der ribuarischen Franken, ist nur 
in einer Textform überliefert, welche in karolingischer Zeit, wahrscheinlich noch im 8. Jahr- 
hundert, jedenfalls vor 803, entstand. Die Abfassung der Lex, die aus mehreren ungleichartigen 
Bestandteilen zusammengesetzt ist, reicht aber in die merowingische Zeit zurück. Sie ist mit 
Benutzung der Lex Salica ausgearbeitet worden. Ein ältester Bestandteil kennzeichnet sich 
durch sein altribuarisches Bußsystem, ein zweiter stellt sich als systematische Umarbeitung des 
salischen Volksrechtes dar, welche die den Ribuariern fremden Rechtsinstitute und die bereits 
veralteten Titel der Vorlage absichtlich überging. Ein dritter Teil sowie ein in den zweiten 
eingeschobenes Königsgesetz scheinen unter Dagobert I. (628—639) entstanden zu sein, während 
die ersten zwei Bestandteile noch dem 6. Jahrhundert angehören dürften. — Ein Sonderrecht, 
das in Einzelheiten vom ribuarischen abwich, besaßen die chamavischen Franken, die das nach 
ihnen benannte, am Niederrhein und an der Assel gelegene Hamaland und etliche benachbarte 
Gaue bewohnten. Gegen Ende des 8. oder Anfang des 9. Jahrhunderts, vermutlich in den 
Jahren 802/3, wurde über das chamavische Sonderrecht ein Weistum aufgenommen. Die 
Aufzeichnung dieses Weistums ist die Ewa Chamavorum, die 48 knappgefaßte Kapitel 
enthält. 
Die älteste Aufzeichnung des Volksrechtes der Alamannen ist der sogenannte 
Pactus, von dem uns nur fünf Fragmente überliefert sind, eine Satzung, die spezifisch 
salfränkische Rechtsausdrücke anwendet und wahrscheinlich unter Dagobert I. entstanden ist. 
Eine umfassendere und besser geordnete Satzung erhielt der Stamm der Alamannen durch die 
LexAlamannorum, die unter Herzog Lantfrid von Schwaben (1 730) auf einer alaman- 
nischen Stammesversammlung, wahrscheinlich 717—719 (in der Regierungszeit des fränkischen 
Königs Chlothar IV.) zustande kam. 
Das bayrische Volksrecht, die Le xBaiuwariorum, wurde wahrscheinlich unter 
dem Bayernherzog Odilo 743—748 nach dem Vorbilde der Lex Alamannorum und mit starker 
Benutzung jener Gesetze des Westgotenkönigs Eurich abgefaßt, die in den von den Westgoten 
nach der Niederlage Alarichs II. aufgegebenen Gebieten Galliens in Geltung geblieben waren. 
Eine Anzahl von Rechtssätzen geht auf ein vermutlich unter Dagobert I. entstandenes Königs- 
gesetz kirchen= und amtsrechtlichen Inhalts zurück, das für eine Mehrheit fränkischer Herzog- 
tümer bestimmt war und auch bei Abfassung der Lex Alamannorum benutzt worden sst. 
Für den Stamm der Sachsen sind uns aus der Zeit Karls des Großen mehrere 
Satzungen erhalten. Vermutlich im Jahre 782 erließ Karl der Große für die damals unter- 
worfenen sächsischen Gebiete die Capitulatio de partibus Saxoniae, gewissermaßen ein Stand- 
rechtsgesetz, das die Herrschaft der Franken und des Christentums durch grausame Strafen 
sicherzustellen suchte. Minder streng ist das Capitulare Saxonicum, hervorgegangen aus den 
Beschlüssen einer im Jahre 797 unter Beteiligung von Sachsen zu Aachen abgehaltenen Reichs- 
versammlung. Später als dieses Kapitular, wahrscheinlich im Anschluß an einen Aachener 
Reichstag von 802 und 803, auf welchem Karl der Große für die Aufzeichnung und Ergänzung 
der Stammesrechte tätig war, wurde die Lex Saxonum abgefaßt. Man benutzte dabei 
die Lex Ribuaria unter Berücksichtigung einer Ergänzung, die diese durch ein vom Jahre 
80 datiertes Kapitular erhalten hatte. 
Ungefähr gleichzeitig entstand die Lee x Angliorumet Werinorum hoc est 
Thuringorum, eine Satzung für die in Thüringen seßhaften Stämme der Angeln, die 
Encyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band I. 6
	        
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