82 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
im Gebiete der Unstrut wohnten (pagus Engleheim) und der Warnen, ihrer östlichen Nachbarn
(Werenofeld). Sie lehnt sich an die Lex Ribuaria an und benutzt stellenweise auch die Lex
Saxonum.
Nicht als eine Lex, sondern als eine Privatkompilation von Materialien verschieden-
artigen Charakters und wohl auch verschiedener Entstehungszeit stellt sich die sogenannte Le #
Frisionum dar. Sie enthält einerseits Rechtssätze, welche die Durchführung des Christen-
tums, andererseits solche, welche die örtliche Fortdauer des Heidentums voraussetzen. Den
Kern der sogenannten Le#x bildet eine kompilierende Aufzeichnung über das Recht der Mittel-
friesen (zwischen dem Flie, dem Ausfluß der Zuidersee, und der Laveke), welche den Inhalt
volksrechtlicher Satzungen und königlicher Strafgesetze des 8. Jahrhunderts und mündliche
Auskünfte in sich aufnahm und unter Karl dem Großen vielleicht im Anschluß an eine amtliche
Inquisition von 802/3 als Vorarbeit für eine offizielle Redaktion entstanden ist, die dann aus
unbekannten Gründen unterblieb. Einen Anhang bildet die sogenannte Additio sapientum,
eine Sammlung von Weistümern über friesisches Recht, die von zwei Rechtsgelehrten namens
Wulemar und Saxmund herrühren. Sowohl in die Lex als in die Additio wurden Zusätze
über das Sonderrecht der Westfriesen (vom Flie bis zum Sinkfal nördlich von Brügge) und
der Ostfriesen (von der Laveke bis zur Weser) ausgenommen.
2. Die Kapitularien. Die königlichen Satzungen der merowingischen Zeit führen
die Bezeichnungen edictum, praeceptio, decretum, decretio, auctoritas. In karolingischer
Zeit wird dafür der Ausdruck capitulare technische Benennung. Capitulum hieß der einzelne
Abschnitt der Satzungsurkunde. Die Gesamtheit der gleichzeitig entstandenen und beurkundeten
Kapitel wurde als capitulare oder capitula bezeichnet. Die Form der Beurkundung ist der
bei den kirchlichen Konzilien üblichen verwandt. Je nachdem sie geistliche oder weltliche An-
gelegenheiten behandeln, zerfallen die Kapitularien in Capitula ecclesiastica und Capitula
mundana. Doch gibt es auch solche, die man als Capitula mixta bezeichnen könnte, d. h. solche,
die sowohl weltliche als auch kirchliche Materien regeln. Aus der Masse der Capitula mundana
heben sich drei typische Arten von Kapitularien hervor: 1. Die Capitula legibus addenda, bie
gleich dem Volksrechte gesetzliche Kraft haben sollen. Sie schaffen Stammessrecht, also persön-
liches Recht der Stammesgenossen eines einzelnen Stammes oder ein den Angehörigen der
verschiedenen Stämme gemeinsames Recht, je nachdem sie einer bestimmten einzelnen Lex
oder allen Leges hinzugefügt werden sollen. Wo, wie bei den Franken, die Rechtsprechung
Sache der Gerichtsgemeinden war, bedurften die Capitula legibus addenda grundsätzlich der
Zustimmung des Volkes, als deren Ersatz man wohl auch den Konsens der auf dem Reichstag
versammelten Menge gelten ließ. 2. Die Capitula per se scribenda, eigentliche Verordnungen,
die territoriales Reichs- oder Landesrecht schaffen. Der König beriet sie regelmäßig mit den
Großen des Reiches, deren Konsens seit Ludwig I. mehr und mehr ins Gewicht fiel. 3. Die
Capitula missorum, Kapitularien, die an die königlichen Missi gerichtet sind. Sie wurden ihnen
gewöhnlich bei der Absendung in ihre missatischen Sprengel mitgegeben, entweder, um ihnen
als Instruktionen für ihre Amtstätigkeit zu dienen, oder um von ihnen zur allgemeinen Beachtung
verkündigt zu werden. In der Zeit, da die wichtigsten königlichen Rechte auf die Hausmeier
übergegangen waren, haben auch diese Kapitularien erlassen.
Amtliche Sammlungen der Kapitularien wurden nicht veranstaltet. Eine Privatsamm-
lung von Kapitularien Karls des Großen und Ludwigs I. verfaßte mit Voranstellung der geist-
lichen Kapitularien, im übrigen nach chronologischer Anordnung der Abt Ansegisus von Fonta-
nella (S. Wandrille, Diözese Rouen) im Jahre 827, eine Arbeit, die binnen kurzer Zeit das An-
sehen einer amtlichen Sammlung erwarb. Für eine Ergänzung des Ansegisus gibt sich eine
in Westfranzien um die Mitte des 9. Jahrhunderts verfertigte Sammlung angeblicher Kapitu-
larien aus, deren Verfasser sich als Levite Benedikt von Mainz einführt. Das Werk ist zum
größten Teile eine in kirchlichem Interesse unternommene Fälschung. In Italien wurde gegen
Ende des 10. Jahrhunderts eine Sammlung der daselbst zur Geltung gelangten Kapitularien
veranstaltet, die man Capitulare schlechtweg oder Capitulare Langobarderum nannte.
3. Die Formelsammlungen und Urkunden. Um Formurlare für die Ab-
fassung von Urkunden darzubieten, wurden im fränkischen Reiche zahlreiche Formelsammlungen
abgefaßt, juristische Privatarbeiten, die das Urkundenwesen, wie sich an einzeinen Beispielen