1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 85
Lex aufgenommenes Gesetz zugeschrieben wird. Eine Textform der Ervigiana, welche die
jüngeren Novellen hinzugefügt hatte, erlangte die Bedeutung einer Lex Visigothorum vulgata.
Das Gesetzbuch der Burgunder, die Lex Burgundionum, eine amtliche Samm-
lung burgundischer Königsgesetze, ist zum größten Teile das Werk des Königs Gundobad
(474—516), nach dem sie auch als Lex Gundobada bezeichnet wird. König Gundobad ließ
nämlich vor 501 aus den Gesetzen seiner Vorfahren und aus seinen eigenen einen Liber con-
stitutionum herstellen, der für Rechtshändel nicht nur zwischen Burgundern, sondern auch
zwischen Burgundern und Römern gelten sollte. Schon früh zeigte sich das Bedürfnis nach
Novellen. Solche wurden noch von Gundobad selbst, dann von seinen Nachfolgern Sigismund
und Godomar erlassen und der Lex an passenden Stellen amtlich eingefügt oder angefügt
(adkapituliert).
Die hervorragendste Schöpfung auf dem Gebiete der germanischen Gesetzgebung stellen
in der Zeit der Volksrechte die Quellen des langobardischen Rechtes dar. Dieses
wurde zuerst unter König Rothari, nicht ohne Verwertung römischer und westgotischer Quellen,
aufgezeichnet und 643 unter dem Namen Eclctus publiziert. Unter dessen Nachfolgern kamen
Zusätze von Grimoald, die umfassende Gesetzgebung Liutprands und einige Gesetze der Könige
Ratchis und Aistulf hinzu. Aus dem Edictus Langobardorum wurde 829—832 für den Ge-
brauch des Herzogs und Markgrafen Eberhard von Friaul ein Rechtsbuch verfertigt, welches
die denselben Gegenstand betreffenden Gesetze der einzelnen Könige zusammenstellt und sich
deshalb Concordia de singulis causis nennt. Auf Grund des Edikts, der Kapitularien und
späteren Königsgesetze entwickelte sich in Italien eine rege juristische Tätigkeit, die in der Rechts-
schule zu Pavia ihren Ausgangspunkt hatte. Mit dem Edikt wurde das Capitulare Lango-
bardorum zu einem Ganzen, dem Liber legis Langobardorum (Liber Papiensis), verbunden.
Zwischen 1019 und 1037 entstand für Schulzwecke eine Sammlung, die dem Gesetztexte Glossen
und Gerichtsformeln beifügte. Für den Gerichtsgebrauch wurde bald nach 1070 ein reichhaltiger
Kommentar (Expositio) zum Liber Papiensis verfaßt. Eine neue Form erhielt das Rechts-
buch als sogenannte Lombarda vor 1100, welche den Rechtsstoff systematisch ordnete, gleich-
falls glossiert und im 12. Jahrhundert kommentiert wurde. Von den sonstigen Quellen des
langobardischen Rechtes ist das Cartularium Langobardicum hervorzuheben, eine im 11. Jahr-
hundert entstandene Sammlung von Formeln, wie sie bei der traditio cartae vom Aussteller
oder dessen Vorsprecher gesprochen wurden, und von mündlichen Erklärungen, die der Abfassung
gerichtlicher notitiae vorausgingen.
Leges Visigothorum. Eurichs Gesetze und die Lex Vusigothorum sind herausgegeben von
Karl 8 umer als Leges Visigothorum in den Monum. Germ. hist. Leges, sectio I, tomus 11902.
ex Burgundionum. Ausg. von Bluhme in den Mon. Germ. LL. III 525, besser von
R. von Salis in der Quartserie der Leges, Sectio I, tomus 2, 1892. Einen genauen Abdruck
einzelner Handschriften gab Valentin-Smith, La Loi Gombette 1889 f.
Edictus Langobardorum. Ausg. von Bluhme in den Mon. Germ. LL. IV (als Schul-
ausgabe in 8° u. d. T. Edictus ceteraeque Langobardorum leges 1869). Liber legis Langob.
pienss dictus, hrsg. von Boretius a. a. O. Concordia und Lombardae rubricae, hrsg. von
Bluhme a. a. O. Baudia Vesme, Efdicta regum Langob. 1855 (in den Monum. bist.
patriae), abgedruckt von Neigebaur 1855. Die Lombarda-Commentare, hrsg. von Anschütz
1855. Summa Legis Langobardorum, Langobard. Rechtsbuch aus dem 12. Jahrh., hrsg. von
Anschütz 1870. Das Cartularium Langobard, hat Boretius in Fon. Germ. LlL. IV 595 ff.
ediert. Padeletti, Fontes iuris italici mediül acvi 1877.
§ 15. (Fortsetzung.) Auch das römische Recht, nach dem die Romanen und die Kirche
lebten, hat eine Reihe von Rechtsquellen aufzuweisen, die in den germanischen Staaten ent-
standen sind. Während die germanischen Leges dem Mangel geschriebenen Rechtes abhelfen
sollten, haben die römischen Rechtsquellen der germanischen Reiche den Grund ihrer Entstehung
in dem Übermaß des überlieferten geschriebenen Rechts, das die Rechtspraxis nicht mehr zu
bewältigen vermochte. Da man die geistige Beherrschung der römischen Rechtsquellen ver-
lernt hatte, ergab sich das Bedürfnis nach sichtenden und epitomierenden Rechtssammlungen.
Für die Römer des Westgotenreiches ließ Alarich II. 506 das römische Recht in der Lex Romana
Visigothorum (Breviarium Alaricianum) zusammenstellen, indem er zugleich die Anwendung
jeder anderen römischen Rechtsquelle verbot. Die Lex enthält eine Auswahl von Konstitu-