86 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
tionen des Theodosianus, posttheodosianische Novellen (bis 463), den sogenannten Liber Gaii,
die Sententiae des Paulus, Konstitutionen aus dem Codex Gregorianus und Hermogenianus
und eine Stelle aus den Responsen Papinians. Das Ganze ist mit Ausnahme des Gaius von
einer fortlaufenden Glosse, interpretatio, begleitet. Im Westgotenreiche hob Reccessvind die
Geltung der Lex Romana Visigothorum auf. Allein sie blieb bei der römischen Bevölkerung
des fränkischen Reiches in lebhaftem Gebrauch. Als ein Auszug daraus stellt sich die in Chur-
rätien wohl bereits vor Ausgang des 8. Jahrhunderts vorhandene Lex Romana Curiensis dar,
eine bedeutsame Quelle für die Kenntnis des römischen Vulgarrechts, die zugleich einen weit-
gehenden Einfluß deutscher Rechtssitte auf das Recht der romanischen Bevölkerung zum Aus-
druck bringt.
In Burgund entstand unter König Gundobad vor 506 für die römischen Provinzialen
die Lex Romana Burgundionum, als ein Seitenstück zur Lex Gundobada. Sie wurde in der
Art ausgearbeitet, daß man zur Gundobada passende Parallelstellen aus den römischen Rechts-
quellen zusammenstellte. Da die Lex Romana Burgundionum die Anwendung der übrigen
römischen Rechtsquellen nicht ausschloß, so kam in Burgund die Lex Romana Visigothorum
in so vorwiegenden Gebrauch, daß sie jene schließlich verdrängte.
Im ostgotischen Reiche war die Gesetzgebung für die germanische und für die römische
Bevölkerung von vornherein eine gemeinsame. Die Gesetze der ostgotischen Könige nannten
sich Edikte, nicht Leges, da sich die Ostgotenkönige zwar das jus edicendi beilegten, wie es die
römischen Magistrate besaßen, aber die kaiserliche Gesetzgebung noch als ein Reservatrecht der
oströmischen Kaiser betrachteten. Nur auf römischen Rechtsquellen beruht ein aus 155 kurz-
gefaßten Kapiteln bestehendes Edikt, das König Theoderich vor 507 ausarbeiten ließ. Für die
Ostgoten galt daneben gotisches Gewohnheitsrecht, das sich als Personalrecht von überresten
ostgotischer Bevölkerung noch bis in das elfte Jahrhundert nachweisen läßt. Nach der
Zertrümmerung des ostgotischen Reiches geriet die ostgotische Gesetzgebung in Vergessenheit,
und brachte die oströmische Herrschaft die Rechtsbücher Justinians zur Geltung, welche in Italien
auch nach der Einwanderung der Langobarden in Kraft blieben.
Lex Romana Visigothorum, hrsg. von Hänel 1849. Lex Romana Raetica Curiensis
ed. K. Zeumer in Mon. Germ. LL. V. Ebenda die Capitula Remedi#.
Lex Romana Burgundionum, hrsg. von Bluhme in Mon. Germ. LL. III, von R. v. Salis
in der Quartausgabe der Leges.
Edictum Theoderici, hrsg. von Bluhme in den Mon. Germ. LlL. V.
II. Das Staatsrecht.
§s 16. Das Königtum. Das germanische Volkskönigtum machte im fränkischen Reiche
einem Königtum anderer Auffassung Platz, das durch die von ihm ausgehenden Eroberungen
seine Macht derart erhöhte, daß es die Fülle der Staatsgewalt in sich vereinigte. In der gallo-
römischen Bevölkerung gewann es eine Klasse von Untertanen, die ein unbeschränktes Imperium
gewohnt waren. Nicht zum wenigsten hat das Königtum seine Stellung dadurch befestigt,
daß es die in den romanischen Gebieten bestehenden römischen Einrichtungen zur Verstärkung
der Staatsgewalt verwertete, daß es den mächtigen Einfluß der katholischen Kirche in seinen
Dienst zog, und daß das gewaltig angewachsene Krongut die Mittel lieferte, um die königliche
Gefolgschaft und das königliche Beamtentum zu vermehren und umfassende Landschenkungen
vorzunehmen. Der übermäßigen Steigerung im 6. folgte im 7. Jahrhundert eine dauernde
Schwächung der königlichen Gewalt, so daß es den Inhabern des Hausmeieramtes möglich
wurde, die königlichen Befugnisse an sich zu ziehen. Diese Einbuße wurde aber dadurch wieder
ausgeglichen, daß der letzte Hausmeier die ursprünglich königlichen, nunmehr hausmeierlichen
Rechte wieder an das Königtum brachte, indem er sich von den Franken zum König erheben
ließ. Die Karolinger haben zunächst durch die Ausdehnung und Fortbildung der Keime des
Lehnwesens und durch die planmäßige Verquickung von Kirche und Staat eine Stärkung der
königlichen Gewalt in die Wege geleitet. Aber dank den Geistern, die sie gerufen und nicht auf
die Dauer zu lenken vermochte, verfiel die Reichsgewalt seit Ludwig I. einem unaufhaltsamen
Niedergang.
Der merowingische König führte den Titel rex Francorum, und zwar auch dann, wenn