1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 87
er nur Teilkönig war. Karl der Große nannte sich seit der Unterwerfung der Langobarden
(774) rex Francorum et Langobardorum ac patricius Romanorum. Nach der Kaiserkrönung
wich der Titel patricius dem Kaisertitel. Dieser lautet seit Ludwig I. imperator augustus.
Ludwig der Deutsche nennt sich nur noch rex, womit sich auch seine Nachfolger begnügen, so-
weit sie nicht den Kaisertitel führen. Vermutlich nach angelsächsischem Vorbilde nahm Karl
der Große 768 die Demutsformel gratia Dei in den Königstitel auf.
Ursprünglich ist auch bei den Franken mit dem Erbrechte des Königsgeschlechtes ein Wahl-
recht des Volkes verbunden. Seit Chlodowech tritt dieses zurück. Erbberechtigt ist nur der
Mannesstamm des merowingischen Königshauses ohne Unterscheidung ehelicher und unehe-
licher Geburt. Sind mehrere erbberechtigte Glieder der Dynastie vorhanden, so wird die Reichs-
verwaltung unter sie geteilt, und zwar zu gleichen Teilen und zu gleichem Recht, so daß keiner
der Teilregenten etwa als Oberkönig Hoheitsrechte über die anderen besitzt. Im 7. Jahr-
hundert üben zunächst die Großen, später die Hausmeier das Recht aus, das von ihnen aus-
gewählte Mitglied des Königsgeschlechtes durch Thronerhebung zum König einzusetzen. Die
Erhebung Pippins war zugleich die Erhebung seines Hauses zum fränkischen Königsgeschlecht.
Unter den Karolingern wurde die Reichsverwaltung ebenso wie unter den Merowingern zu
gleichen Teilen und zu gleichem Rechte geteilt. Mit dem Erbrecht der Karolinger konkurrierte
die Teilnahme des Volks, insbesondere der Großen, an der Besetzung des Throns und an den
Reichsteilungen. Uneheliche Königssöhne hatten neben ehelichen kein Recht der Thronfolge.
Im Gegensatz zum herkömmlichen Teilungsprinzip verlangte die Idee des Kaisertums, weil
sie die Universalmonarchie voraussetzte, die Einführung der Individualsuccession. Ludwigs I.
Ordinatio imperü von 817, die durch eine Teilung zu ungleichem Recht und zu ungleichem
Teilen einen Ausgleich zwischen jenen Gegensätzen versuchte, erwies sich als unausführbar,
und nach aufreibenden Kämpfen wurde 843 im Verduner Vertrag das alte Teilungsprinzip
wieder zur Geltung gebracht.
Der Regierungsantritt war unter den Merowingern ein rein weltlicher Akt. Er erfolgte
durch feierliche Thronbesteigung, dann zuerst bei unmündigen Thronerben, schließlich allgemein,
durch Thronerhebung (elevatio). Zum Zeichen förmlicher Besitzergreifung pflegte der mero-
wingische König eine Umfahrt im Reiche zu halten. Seit Pippin wurde unter angelsächsischem
Einfluß die auf altjüdisches Vorbild zurückgehende geistliche Salbung üblich. Im 9. Jahr-
hundert trat dann der Salbung eine Königskrönung zur Seite. Sie erfolgte entweder als ein
geistlicher oder als ein weltlicher Akt, hatte aber ebenso wie die Salbung keine staatsrechtliche
Bedeutung für die Erlangung der Königswürde.
Als König Pippin 754 von Papst Stefan II. zum patricius Romanorum erhoben wurde,
sollte er dadurch eine Stellung erlangen, wie sie früher dem Exarchen von Ravenna als Ver-
treter des byzantinischen Reiches im römischen Gebiete von Rechts wegen gebührt hatte. Karl
der Große behandelte dieses Gebiet, nachdem er 774 den neuen Titel angenommen hatte, wie
einen Teil seines Reiches. An Stelle des Patriziats trat 800 die Würde des römischen Kaisers.
Das Kaisertum gewährte seinem Inhaber nicht nur das Schutzrecht über die römisch-katholische
Kirche, sondern auch die Herrschaft über das römische Gebiet. Karl der Große betrachtete das
Kaisertum zunächst nur als eine persönliche Würde; erst 813 verband er es mit seinem Reiche
und seinem Geschlechte. Die Kaiserkrönung, byzantinischer Sitte entstammend, erfolgte bei
Karl dem Großen selbst als ein päpstlicher Akt. Ludwig I. und Lothar I. wurden von ihren
Vätern gekrönt, ließen sich aber beide nachträglich vom Papste salben und krönen. Seit der
Mitte des 9. Jahrhunderts erschien die päpstliche Salbung als der die Kaiserwürde verleihende
Ak. Dank den im karolingischen Hause eingetretenen Zerwürfnissen war es der römischen Kurie
gelungen, die Verleihung der Kaiserwürde im Gegensatz zu der von Karl dem Großen und Lud-
wig I. betätigten Auffassung zu einem päpstlichen Monopol zu gestalten.
Der König hat sämtlichen Untertanen gegenüber die Banngewalt. Banngewalt ist das
Recht, bei Strafe zu gebieten und zu verbieten. Bann heißt ein derartiger Befehl und ebenso
die Folge seiner Ubertretung. Folge der Nichtbeachtung des Königsbannes ist in der Regel
eine Brüche von 60 Solidi. Der Bann äußert sich als Friedensbann, als Verwaltungsbann
und als Verordnungsbann und dient als der wichtigste Hebel zur Ausbildung des das Volks-
recht reformierenden Königsrechts.