1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 91
#§ 19. Die Reichsverwaltung und die Leistungen der Untertanen. Eine geordnete Finanz-
verwaltung sucht man auch im fränkischen Reiche vergebens. Staatsgut und Privatgut des
Königs wurden nicht unterschieden, wie überhaupt nicht die öffentlich-rechtliche und die privat-
rechtliche Stellung des Königtums, ein Charakterzug, der sich in der Folge auch dem Beamten-
tum mitteilte. Eine allgemeine Steuerpflicht der Untertanen kannte man nicht. Die römische
Steuerverfassung ließ man verfallen und entarten. Einzelne abhängige Völkerschaften zahlten
Tribute. Für Uberlassung und Benutzung von Königsland, insbesondere von Rottland, wurden
Abgaben privatrechtlicher Natur entrichtet (stuofa, medem). Sonstiges Einkommen des könig-
lichen Fiskus, über den der König einseitig verfügte, bildeten die Gerichtsgefälle und die Bann-
bußen, das Achtergut, Schutzzinse, Zölle und Verkehrsabgaben, Jahresgeschenke (dona annualia),
die für die Kirchen seit Karl dem Großen den Charakter pflichtmäßiger Leistungen annahmen,
insbesondere aber das Erträgnis der königlichen Domänen, in deren Verwaltung Karl der Große
den Schwerpunkt des ganzen Finanzwesens legte.
Im übrigen war das Gemeinwesen auf die persönlichen Leistungen der Untertanen an-
gewiesen, die zum Heerdienst, zum Gerichtsdienst, zu öffentlichem Polizeidienst (Gerichtsfolge
und Landfolge) und zu gewissen öffentlichen, zum Teil aus dem römischen Postwesen hervor-
gegangenen Fronden verpflichtet waren.
Eine folgenschwere Umwandlung vollzog sich im Heerwesen. Zwar ist eine verfassungs-
mäßige Anderung der Heerpflicht unter den Karolingern nicht durchgeführt worden, allein die
zunehmende Leistungsunfähigkeit der kleinen Grundbesitzer und die veränderte Art der Krieg-
führung brachten den auf der allgemeinen Untertanenpflicht beruhenden Heerbann allmählich
zur Auflösung und veranlaßten die Heeresverwaltung, das Volksaufgebot durch Lehnsmilizen,
die Fußtruppen durch Reiter zu ersetzen. Grundsätzlich lastete im fränkischen Reiche die Heer-
pflicht auf allen freien und wehrhaften Männern. Königliche Verordnung bestimmte, in
welchem Umfang für den einzelnen Fall das Aufgebot der Wehrpflichtigen erfolgen solle;
leitende Gesichtspunkte waren hierbei das jeweilige Erfordernis der Heeresstärke und die Leistungs-
fähigkeit des einzelnen. Um letztere zu berücksichtigen, wurde für das einzelne Aufgebot eine
nach königlicher Anordnung wechselnde Vermögensquote als die dem persönlichen Heerdienst
zugrunde liegende Einheit festgesetzt. Armere Freie wurden in der Weise zu Gruppen ver-
einigt, daß man nur von einem den persönlichen Heerdienst verlangte, die anderen aber zu
einer Beisteuer (aidutorium) verpflichtete. Wer widerrechtlich ausblieb, mußte die königliche
Bannbuße bezahlen. Die Durchführung des Aufgebots fiel dem Grafen anheim, dem auch
ein beschränktes Dispensationsrecht eingeräumt war. Hintersassen und Vasallen hatte in karo-
lingischer Zeit ihr Senior, der Grund= oder Lehnsherr, aufzubieten. Handelte es sich um die
Verteidigung des Landes gegen feindliche Einfälle, so war jedermann ohne Ausnahme ver-
pflichtet, dem Rufe zur Landwehr (lantwéri) zu folgen. Während die Heeresverwaltung ge-
nötigt war, den Druck, mit dem die Heerpflicht auf den kleineren Grundbesitzern lastete, mehr
und mehr zu erleichtern, wurde andererseits der Kriegsdienst, den sie zu leisten vermochten,
durch eine Veränderung militärisch-technischer Natur mehr und mehr entwertet. Die Heere,
welche die Gründung des fränkischen Reiches vollbrachten, bestanden fast ausschließlich aus Fuß-
volk; nur die Führer und Gefolgsgenossen waren beritten. Im 4. und 5. Jahrzent des 8. Jahr-
hunderts machte sich aus Anlaß der Kämpfe mit den Arabern das Bedürfnis nach Schöpfung
einer leistungsfähigen Kavallerie geltend. Karl Martell und seine Söhne griffen zu diesem
Zwecke an das Kirchengut. Sie vergabten Kirchengüter an fränkische Große, die ihrerseits
durch Weiterverleihungen kleinere Vassallen in den Stand setzten, sich reitermäßig auszurüsten.
Der vermehrten Reiterei wegen sah schon Pippin sich genötigt, das Märzfeld in den Mai zu
verlegen. Hand in Hand mit dem Lehnwesen schritt das Reiterwesen von Westen nach Osten
vor. In Westfranzien sind schon um die Mitte des 9. Jahrhunderts die Heere fast ausschließlich
Reiterheere, die zum Teil aus freien Vassallen und zum Teil aus Ministerialen, reitermäßig
ausgerüsteten Knechten, bestehen. Bei den rechtsrheinischen Stämmen hat sich diese Entwick-
lung erst in der nachfränkischen Zeit durchgesetzt.
Die Gerichtspflicht lastete hauptsächlich auf der Hundertschaft, deren Gerichtsversamm-
lungen für Streitigkeiten aus der ganzen Grasschaft zuständig waren, und bezog sich in gleicher
Weise auf die echten, ungebotenen Dinge des Volksrechtes, die vom Grafen abgehalten wurden,