Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 93 
den Hausmeiern behufs Organisation der fränkischen Reiterei vergabt wurden, kamen in der 
Hauptmasse an Vassallen. Indem es mehr und mehr Sitte wurde, den Vassallen ein Benefi- 
zium zu geben und für ein Benefizium Vassall zu werden, sind Benefizialwesen und Vassallität 
miteinander verschmolzen. Das Produkt dieser Faktoren ist das Lehnwesen. Schon früh neigte 
es zur Erblichkeit oder vielmehr zur Ausbildung eines rechtlichen Leihezwanges bei Eintritt 
des Herren- und Mannfalls, indem bei Herrenfall der Erbe des Herrn dem Lehnsmanne des 
Vorgängers, bei Mannfall der Lehnsherr einem Sohne des Verstorbenen die Leihe freiwillig 
zu erneuern pflegte, später unter gewissen Voraussetzungen erneuern mußte. In rascher Aus- 
dehnung ergriff das Lehnwesen nicht nur den Grundbesitz, es begann auch die Amterverfassung 
zu zerfressen. Seit dem 9. Jahrhundert wurde es mehr und mehr Sitte, daß der König die 
höheren Amter an Vassallen verlieh, oder daß sich deren Inhaber in die Vassallität begaben. 
Zunächst wurde dann der mit dem Grafenamte verbundene Grundbesitz, pertinentia comitatus, 
als Benefizium behandelt. Als hiermit das Amt eine privatrechtliche Basis gewonnen hatte, 
nahmen die Amtsbefugnisse selbst allmählich den Charakter des Lehns an. 
Die Grundherrlichkeit. Die auf den Gütern der Grundherren ansässigen 
Leute standen nicht bloß in wirtschaftlicher und privatrechtlicher Abhängigkeit, sondern der 
Grundherr übte über gewisse Klassen derselben auch Befugnisse, die im Laufe der Zeit öffentlich- 
rechtliche Bedeutung erlangten. Für das fränkische Reich sind deutschrechtliche und römisch- 
rechtliche Wurzeln der Grundherrlichkeit zu unterscheiden. Nach deutschem Rechte haftete der 
Grundherr für seine Unfreien, für die Halbfreien und für solche Freie, die ihm schutzhörig waren. 
Die merowingische Rechtssprache faßt sie zusammen als homines unde mithio redebet, d. h. 
als die Personen, für die er Verantwortung schuldet, ein Ausdruck, der in der karolingischen 
Zeit verschwindet, in der man schlechtweg von homines oder homines commanentes spricht. 
Der Herr haftete entweder für die verwirkte Buße oder dafür, daß der homo vor das öffent- 
liche Gericht gestellt werde, wenn ihn Dritte belangten. In Fällen, in welchen öffentliche 
Strafen in Frage standen, war der Grundherr verpflichtet, seine Leute dem öffentlichen Richter 
auszuliefern, der aber auch das Recht hatte, den Schuldigen selbständig zu greifen. Mit Rück- 
sicht auf jene Haftung des Grundherrn wurde es Sitte, daß Dritte sich zunächst außergerichtlich 
an den Grundherrn oder dessen Beamten wendeten, der dann die Sache untersuchte und nach 
dem Ergebnis der Untersuchung erledigen ließ. Fand sich der Dritte dadurch nicht befriedigt, 
so mochte er sich an den öffentlichen Richter wenden. Jene interne Erledigung der Streit- 
händel, die sich schon früh in den Formen gerichtlichen Verfahrens bewegte, ist der Ausgangs- 
punkt der grundherrlichen Gerichtsbarkeit geworden. Diese war vorhanden von dem Zeit- 
punkte ab, da die Rechtsordnung dem Dritten zur Pflicht machte, zunächst den Grundherrn 
oder dessen Vogt anzugehen, und die öffentliche Jurisdiktion auf den Fall der Justizverweigerung 
und des Rechtszuges beschränkte. Dazu ist es aber in der fränkischen Zeit noch nicht oder doch 
nicht allgemein gekommen. In Gallien übten schon in vorfränkischer Zeit die größeren Kirchen 
und größere Grundbesitzer (homines potentes) über ihre Leute, zum mindesten, wenn diese unter- 
einander prozessierten, eine selbständige Gerichtsbarkeit aus, die der Kompetenz des spät- 
römischen dekensor entsprach. Sie ist, soweit sie behauptet wurde, ebenso wie die Sonderjuris- 
diktion, die den Kirchen über gewisse Klassen der von ihnen abhängigen Bevölkerung zustand, 
in die Immunität übergegangen, deren verfassungsgeschichtliche Bedeutung zum Teil darin 
besteht, daß sie die Reste unorganischer Gerichtsbarkeit notdürftig in den allgemeinen Rahmen 
der fränkischen Gerichtsverfassung einfügte. Die militärische Bedeutung der Grundherrschaft, 
die sich in dem Aufgebot der Hintersassen durch den Grundherrn äußerte, wurde bereits er- 
wähnt 1. Seit der Umbildung des Heerwesens ist sie in der Vassallität und Ministerialität auf- 
gegangen. 
Die Wurzeln der Immunitätt reichen in die römische Zeit zurück. Sie hat bei den 
Franken ihren Ausgangspunkt in der Stellung des Königsgutes, das nicht etwa unter den 
Grafen und ihren Unterbeamten stand, sondern von besonderen königlichen Domänenbeamten 
verwaltet wurde. Wie im römischen Reiche die kaiserlichen Domänen von Steuern und öffent- 
lichen Fronden befreit waren, so genoß auch das fränkische Königsgut die Immunität. Allein 
1 Siehe oben Seite 91.
	        
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