Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 95 
der germanischen Eigentempel der heidnischen Zeit das Institut der Eigenkirchen auszubilden. 
Danach stand die einzelne Kirche im Eigentum des Grundherrn, der die Nutzungen bezog und, 
wenn er nicht selbst Geistlicher war, den Geistlichen (nicht selten einen Unfreien) bestellte und 
besoldete. Im fränkischen Reiche gab es neben den älteren, unmittelbar zum Bistum gehörigen 
Kirchen zahlreiche Eigenkirchen. Solche Eigenkirchen hatte insbesondere der König (ecclesige, 
monasteria in dominio regis). Es waren das die auf Fiskalland erbauten oder dem König 
tradierten Kirchen. Seit dem 7. Jahrhundert drang das System der Eigenkirchen so sehr durch, 
daß selbst unmittelbar zum Bistum gehörige Kirchen als Eigenkirchen des Bischofs aufgefaßt 
wurden. Die karolingische Gesetzgebung suchte eine gewisse Unterordnung der grundherrlichen 
Geistlichen unter den Bischof herbeizuführen. Der Grundherr sollte den Geistlichen nicht ohne 
Zustimmung des Bischofs bestellen. Die Eigenkirche mit einem unfreien Kleriker zu besetzen, 
wurde verboten. Mehr und mehr wurde es Sitte, dem Geistlichen die Kirche samt Einkünften 
als benekicium zu verleihen nach den Grundsätzen des reinen (nicht vassallitischen) Benefizial- 
rechts. Papst Eugen II. hat 826 auf einer römischen Synode das Eigentum der Grundherren 
an Eigenkirchen und Eigenklöstern anerkannt. 
III. Das Strafrecht. 
§ 21. In dem Verhältnis von Acht= und Bußsachen brachte der Einfluß der Kirche, welche 
die Leibes- und Lebensstrafen grundsätzlich bekämpfte, zunächst eine erhebliche Verschiebung 
hervor. Das Bußsystem erfuhr auf Kosten der Acht und der Fehde eine weitgehende Aus- 
dehnung. In den merowingischen Volksrechten haben Wergeld und Buße die unbestrittene 
Vorherrschaft. Zahlreiche frühere Achtfälle sind durch Bußfälle ersetzt. Die Vollstreckung der 
Icht wurde fast nur für den Fall der handhaften Tat aufrechterhalten, die Friedloslegung oder 
Achtung nur noch im Ungehorsamsverfahren verhängt. Doch trat noch im Laufe der fränkischen 
Zeit eine Reaktion gegen die Ausdehnung des Bußsystems ein, indem Bußfälle wieder in die 
Reihe der prinzipiellen Achtfälle einrückten. 
Aus der alten Friedlosigkeit oder Acht hat sich eine Reihe von Strafen abgespalten, pein- 
liche Strafen, nämlich Todesstrafen, bei denen die Todesart nicht von vornherein rechtlich be- 
stimmt war, und Leibesstrafen, insbesondere verstümmelnde Strafen, ferner die Verbannung, 
der Freiheitsverlust in der Form der Internierung, der Strafhaft und der Strafknechtschaft, 
die Einziehung des Vermögens und die Hingabe in die Gewalt des Verletzten. Doch wirkte 
bei den peinlichen Strafen die Abstammung aus der sühnbaren Friedlosigkeit insoferm nach, 
als es dem Schuldigen, wie er sich vormals wieder in den Frieden einkaufen konnte, nunmehr 
gestattet wurde, die Strafe um Geld abzulösen, wobei aber die Lösungssumme nicht wie die 
Buße an die Partei, sondern an die öffentliche Gewalt fiel. Die Kirche begünstigte diese Ent- 
wicklung und machte zum Schutz der Verbrecher gegen peinliche Strafen ein Asylrecht der Kirchen 
geltend. 
Ein eigentümliches Strafsystem entwickelte sich aus der Behandlung der Infidelität., Auf 
Verletzung der Untertanentreue setzte das Volksrecht Todesstrafe und Konfiskation des Ver- 
mögens. Als der Umfang der Treupflichten, die in den Treueid hinein interpretiert wurden, 
namentlich unter Karl dem Großen eine ungemessene Ausdehnung erfahren hatte, wurde es 
unmöglich, jede Verletzung dieser Pflichten mit dem Tode zu ahnden; vielmehr trat eine arbiträre 
Strafgewalt des Königs ein, deren äußerste Grenze durch den historischen Rahmen der Fried- 
losigkeit gegeben war. Da das königliche Ermessen die Strafe bestimmte, befand sich der Schuldige 
„in potestate regis“, ein Rechtszustand, mit welchem der Begriff der königlichen Ungnade, des 
Verlustes der Königshuld, verschmolz, der sich ursprünglich in den Dienstverhältnissen der könig- 
lichen Gefolgsgenossen und Beamten ausgebildet hatte. Auf gewisse Untaten, die nach Volks- 
recht nicht oder nicht genügend verpönt waren, wurde die Bannbuße gesetzt, die im Laufe der 
Zeit als Strafe nach Königsrecht die volksrechtlichen Friedensgelder der einzelnen Stämme 
verdrängte. 
Erhebliche Fortschritte machten die Idee der allgemeinen Strafgewalt des Staates und 
der Gedanke, daß durch das Verbrechen die Gesamtheit verletzt werde. Er äußerte sich in der 
Einengung der Fehde, die im Wege der Gesetzgebung und kraft königlicher Banngewalt im
	        
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